Gott lässt uns nicht hängen

Reportage

Sie arbeiten seit Jahrzehnten in ihrer Berufung und dienen Mensch und Gott. Und sie warten seit Jahren auf eine Antwort, auf Wegweisung, auf einen Blick in die Zukunft. Bisher hat Gott sie noch nicht durch den Türspalt schauen lassen, und so üben sie sich in Geduld und Vertrauen. Was mal leichter, mal schwerer ist, wie Johanna Postelt bei ihrem Besuch erfährt.

Über dem Ort Scherfede, ruhig und fast gelassen, liegt der Gebäudekomplex des Zionsbergs. Er wird bewohnt und bewirtschaftet von einer kleinen Schwesternschaft, bestehend aus 6 Diakonissen. Zum Schwesternhaus mit der Kapelle gehört ein Gästehaus mit 14 schlichten Zimmern, das den Besucher schon beim Betreten mit einer Atmosphäre der Ruhe und des Friedens empfängt. Doch gerade gibt es vermehrt Tage, an denen die Bewohnerinnen des Zionsbergs auch Unruhe und Unsicherheit spüren, wie ich erfahre. Im Gästehaus stehen die Zeichen auf Veränderung. Schwester Ursula und Schwester Marika haben sich einen ganzen Abend Zeit genommen, um mir davon zu berichten und meine Fragen zu beantworten.

Wie durch ein Wunder

Bevor man den Blick in die Zukunft richtet, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Die diakonische Arbeit der Schwesternschaft begann als Flüchtlingsarbeit. Hinzu kam die Leitung einer Pflegevorschule, für die im Jahr 1959 ein Internat gebaut wurde – das heutige Gästehaus. Sinkende Schülerzahlen und ein großer finanzieller Engpass des damaligen Trägervereins machten den Verkauf des Gebäudes im Jahr 1972 scheinbar unumgänglich. Der Zionsberg stand vor dem Aus, die Schwestern fürchteten um ihre Heimat. Wie durch ein Wunder ging das Gebäude jedoch in den Besitz der Diakonissen über. Diese packten die Gelegenheit beim Schopf und verwirklichten ihren Traum, aus der Schule ein Einkehrhaus zu machen. Veränderung ist also nichts Neues auf dem Zionsberg – schon damals rang man um den richtigen Weg. Dieser Weg, und auch die Folgejahre im Gästehaus, waren begleitet von Wundern, so erfahre ich im Gespräch mit den beiden Diakonissen. Sie haben erlebt, dass sie genau in dem Moment, als das Dach undicht wurde und sofort repariert werden musste, ein Erbe in Höhe der Bausumme zugesprochen bekamen. Dass sie in einer schwierigen Phase auf Menschen trafen, die sie in finanziellen und planerischen Entscheidungen mit Fachkompetenz unterstützten. Dass Hilfe genau dann da war, wenn sie gebraucht wurde.

Immer ein offenes Ohr

Bis heute ist das Gästehaus Treffpunkt für die unterschiedlichsten Menschen. Einzelgäste, Gästegruppen, auch Kinder und Jugendliche finden hier einen Raum, zum Beispiel im Format „Kommunität auf Zeit“, bei dem Kinder ein paar Tage in der Gemeinschaft leben und „mitarbeiten“ dürfen. Manche Gäste suchen die Stille, manche besuchen ein Seminar – die Schwestern gestalten das Programm meist ganz individuell, und die Gäste lieben es. Zuletzt hatten sie eine Gruppe zu Gast, die wollte vor allem reden. Da wurde das Programm an zwei Abenden kurzerhand gestrichen. Auch das geht. „Wir nehmen alle Gäste mit hinein in unsere Gemeinschaft. Wir essen gemeinsam, die Gäste können zu unseren Andachten und Gebetszeiten kommen und wir haben immer ein offenes Ohr. Ich glaube, sie fühlen Frieden und Geborgenheit bei uns“ sagt mir Schwester Marika.

„Ganz vorsichtig frage ich, ob da nicht auch manchmal Zweifel kommen, wenn sich kein Weg auftut, keine Tür öffnet. Kein frommes ‚Nein‘, sondern ein direktes und ehrliches ‚Ja‘ ist die Antwort.“

Ob wir das schaffen?

Vor einiger Zeit entschieden die Schwestern, das Gästehaus zu renovieren. Bisher gibt es nur Waschbecken in jedem Zimmer. Zunehmend wünschen sich die Gäste jedoch mehr Komfort, und so sollte jedes Zimmer ein eigenes Bad bekommen. Die Pläne des Architekten lagen schon in der Schublade. Dann kam Corona. Ob die Schwestern dieser Zeit etwas Positives abgewinnen können, frage ich. „Wir hatten mehr Zeit für Gemeinschaft. Das tat uns gut. Und Zeit zum Aufräumen und Ausmisten!“ Vielleicht auch noch einmal Zeit, die Gedanken im Kopf zu bewegen. Und irgendwann kamen Bedenken auf, ob die Renovierung dran sei. „Wir haben uns gefragt, ob wir es schaffen, noch viele weitere Jahre die Arbeit des Gästehauses zu bewältigen. Wir sind ja nur noch 6 Schwestern, die Hälfte davon jenseits der 70. Und wir haben vor Gott intensiv um eine Antwort gebetet“. Das Ergebnis war ein Nein. Also wurde beschlossen, das Gästehaus ab dem Jahr 2025 zu schließen.

Tiefes Vertrauen

Während die Vernunft und der Verstand aller Schwestern diesen Schritt befürwortet – fällt es gleichzeitig schwer, diesen Entschluss zu tragen. Während klar ist, dass die Kraft für viele weitere Jahre nicht mehr reichen wird, möchte das Herz doch gerne weitermachen, weil es so viel Sinn in der Arbeit sieht und auch, weil es einfach Freude macht. Dieses Spannungsfeld gilt es jetzt auszuhalten.

Im Gespräch höre ich immer wieder ein tiefes Vertrauen heraus, dass Gott einen Weg weiß, dass Gott es gut machen wird. Ganz vorsichtig frage ich, ob da nicht auch manchmal Zweifel kommen, wenn sich kein Weg auftut, keine Tür öffnet. Kein frommes „Nein“, sondern ein direktes und ehrliches „Ja“ ist die Antwort. „Natürlich haben wir Zweifel und Tage, an denen uns das Warten auf eine Lösung wirklich schwerfällt. Dann erinnern wir uns gegenseitig, dass Gott uns bisher immer geholfen hat. Er wird es auch diesmal tun.“ Beten, innehalten, auf Gott hören – das wird groß geschrieben auf dem Zionsberg. Selbst ein Sabbatjahr haben sich die Schwestern schon einmal gegönnt. Man bewegt damit mehr als durch übergroßen Aktivismus, so die Erfahrung. Warten auf Gottes Antwort bedeutet für die Schwestern trotzdem nicht, untätig herumzusitzen. Sie haben schon mehrere Vorstöße unternommen, aber aus allen Ideen ist bisher nichts geworden.

Es wird etwas Neues kommen

Ob sie einen Traum haben, wie es weitergehen soll, frage ich. Hier fallen die Antworten unterschiedlich aus. Schwester Marika als jüngste Schwester in der Kommunität, träumt von einem Christlichen Heilzentrum. Sie selbst hat eine Ausbildung als Heilpraktikerin und therapeutische Seelsorgerin und Beraterin und würde gerne Menschen zum Beispiel mit Burnout-Symptomen ganzheitlich behandeln. Sie könnte sich vorstellen, nochmal etwas auf die Beine zu stellen. Schwester Ursula wünscht sich vor allem, dass sie als Schwesternschaft auf dem Zionsberg bleiben können. „Wenn wir einen christlichen Betreiber für das Haus finden würden, könnte ich mich auf viele Ideen der Nutzung einstellen, auch wenn dies große Veränderungen bedeuten würde. Wir könnten als Schwestern weiter im Nebenhaus wohnen und vielleicht die Kapelle in unserer Obhut haben. Da alle Schwestern in der Seelsorgearbeit ausgebildet sind, wären wir gerne weiter offen für Menschen, für Seelsorge und für Gebet. Einfach im Hintergrund.“ Und Schwester Ursula, die sich mit Heilpflanzen auskennt, hätte außerdem etwas mehr Zeit, ihre Heilsalbe, ihren Erkältungstee und weitere Tinkturen herzustellen, die so gefragt sind, dass sie mit der Herstellung kaum nachkommt. 

Noch sehen die Schwestern nicht klar, was entstehen wird. An Aufgaben und Begabungen mangelt es nicht. Es wartet etwas Neues, noch Unbekanntes. Eines wissen sie jedoch und Schwester Ursula bringt es auf den Punkt: „Gott lässt uns nicht hängen. Im Leben nicht!“

Johanna Postelt lebt mit ihrem Mann Nico und den 3 Kindern in Korntal bei Stuttgart, wo sie zusammen das Landschloss Hotel führen. Sie mag lange Abende auf der Terrasse, empfängt beruflich und privat sehr gerne Gäste und liebt es zu reisen – bevorzugt ans Meer. landschloss-korntal.de

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