Verlockend einfach
Kolumne
Wenn die Einfachheit einer Sache besticht, dann ist sie entweder genial puristisch und schlicht schön oder der Betrachter hatte womöglich keine Zeit oder Lust mehr, genau hinzuschauen. Dann wären das Ergebnis und die Folgen eines solchen Denkens und Handelns nicht schlicht schön, sondern ziemlich armselig oder gar verheerend. Dr. Peter Tauber denkt vorwärts.
Na, da startet meine neue Kolumne ja gleich mit einer der schwierigsten Fragen, die man sich aussuchen kann: mit der nämlich, wie das mit der Wahrheit ist. Welche Wahrheit eigentlich? Und was ist Wahrheit überhaupt? Vom christlichen Standpunkt aus ist eine Antwort auf die Frage nach der Wahrheit relativ leicht zu finden: „Das ist gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort, dass Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.“ heißt es im 1. Brief des Paulus an Timotheus. Und auch an vielen anderen Stellen in der Heiligen Schrift geht es um die Wahrheit. Der Evangelist Johannes lässt Jesus direkt zu uns sprechen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich!“ Wenn das kein Anspruch, keine Gewissheit, kein Versprechen ist!
Gegen Fake News und Populismus
Schon immer suchen Menschen nach der Wahrheit. Oder nach Wahrheiten. Und mehr denn je wünschen wir uns heute Orientierung in einer oft unübersichtlichen, vielleicht auch hoffnungslos wirkenden Welt. Da sind gerade die vermeintlich einfachen „Wahrheiten“ so verlockend. In unserem Alltag, im Miteinander, in der Politik und in der Gesellschaft, da ist das dann auf einmal aber leider nicht so einfach mit der Wahrheit wie im Johannes-Evangelium. Auch und gerade für uns Christen nicht. Zumal wir gelernt haben, dass man in einer vielfältigen und demokratischen Gesellschaft zurückhaltend sein sollte mit dem Absolutheitsanspruch und der Unfehlbarkeit.
Alternative Fakten, Fake News, Verschwörungstheorien, der Hass auf Eliten, Populismus und ein zunehmendes Sichtbarwerden bisher unsagbarer, meist rechtsextremer, Äußerungen im öffentlichen Diskurs sind Belege für diesen Wunsch von uns Menschen, komplexe Dinge möglichst zu vereinfachen. Wir wünschen uns einfache Wahrheiten. Und längst nicht nur politische Rattenfänger oder Populisten und die viel beschworenen vermeintlichen Globalisierungsverlierer argumentieren so. Simple Erklärungen komplizierter Sachverhalte begegnen uns zunehmend in seriösen Medien und der Mitte der Gesellschaft. Auch Angehörige intellektueller Kreise diskutieren mit Vereinfachungen sowie Überzeichnungen und nutzen einfache Schuldzuweisungen als vermeintliche Argumente. Die Wahrheit bleibt dann allzu leicht auf der Strecke.
Tschüss an die Wahrheit?
Verhaltensforscher und Psychologen haben dafür eine Erklärung: Wir verhalten uns so, weil uns das in der Vergangenheit einen Vorteil verschafft hat. Die Vereinfachung sichert die Kooperation der Menschen untereinander und verhindert, dass der Einzelne in Konfrontation mit einer überkomplexen Welt überlastet wird und sich überfordert fühlt. Das Problem ist nur, dass eine solche Strategie aus der Steinzeit nicht funktionieren kann, wenn unsere Welt eben doch ökonomisch, technisch und politisch immer vielfältiger wird. Wir müssen also lernen, mehr Unsicherheit und Komplexität auszuhalten, sonst wird das nichts mit einer vielfältigen, offenen Gesellschaft und mit der Demokratie. Heißt das dann auch, dass wir uns endgültig von Gewissheiten, von Wahrheiten verabschieden müssen? Das glaube ich gerade nicht. Die Werte und Normen des Grundgesetzes sind nicht zu verstehen ohne das christliche Bild vom Menschen. Der Rechtsstaat und die Demokratie als Grundlagen unserer staatlichen Ordnung und des Zusammenlebens sind gesetzte „Wahrheiten“. Und wir tun außerdem gut daran, in Wissenschaft und Forschung nicht auf diejenigen, die mit drei Klicks in einer Internetsuchmaschine vermeintliche tiefschürfende Erkenntnisse zutage fördern, sondern auf ausgebildete Experten und Wissenschaftler zu hören.
Doch mit einer solchen Haltung ist es leider nicht getan, wenn wir das mit der Freiheit eines Christenmenschen ernst nehmen, von der Luther schreibt. Dann dürfen wir eben nicht alles sofort als wahr annehmen, was uns präsentiert wird und vor allem, was wir selbst für wahr halten! Mir gefällt ein Satz des alten Jedi-Lehrmeisters Obi-Wan Kenobi gut, den dieser zum jungen Luke Skywalker sagt: „Luke, auch du wirst noch entdecken, dass viele Wahrheiten, an die wir uns klammern, von unserem persönlichen Standpunkt abhängig sind.“
„Die Vereinfachung sichert die Kooperation der Menschen untereinander und verhindert, dass der Einzelne in Konfrontation mit einer überkomplexen Welt überlastet wird und sich überfordert fühlt.“
Christen klar im Vorteil
Das Filmzitat redet mitnichten der Beliebigkeit – neben der Vereinfachung ein weiteres Problem unserer Zeit – das Wort. Es erinnert uns vielmehr daran, dass wir uns davor hüten sollten, unsere Sicht zum Maßstab aller Dinge zu machen. Wir klammern uns fest an dem, was uns Sicherheit gibt. Wahr muss das noch lange nicht sein. Der Satz erinnert uns zudem an unsere eigene Fehlbarkeit. Und da sind Christen aus meiner Sicht im Vorteil! Wir wissen um diese Fehlbarkeit menschlichen Handelns und Denkens. Wir sind aufgerufen, über unsere großen und kleinen Sünden nachzudenken und sie zu bekennen. Wir sollen im besten Sinne Luthers „bußfertig“ sein, also bereit, unser eigenes Handeln kritisch zu reflektieren. Und dann sind wir aufgerufen, zu einer einmal erkannten Wahrheit zu stehen, für sie einzutreten. Wir sollen das friedfertig tun, um Miteinander bemüht, aufeinander zugehend, einander die Hand reichend. Ist es nicht das, was uns gerade fehlt?
Und wir haben als Christen noch einen großen Vorteil. Wir wissen um die eine unumstößliche Wahrheit, die uns hilft, uns mit Vertrauen und Hoffnung in einer sonst komplizierten und widersprüchlichen Welt zu bewegen, ohne zu verzweifeln oder gar zynisch zu werden. Wir kennen die frohe Botschaft. Für Christen ist der Glaube an Jesus Christus deshalb beruhigend. Seine Wahrheit gilt für uns. Und das bedeutet, dass wir bei aller Unsicherheit und Komplexität unseres Lebens immer auf seine Liebe und Gnade vertrauen dürfen. Wenn das die Wahrheit ist, auf die wir uns besinnen, dann sind wir gut gerüstet für alles, was diese Welt an Überraschungen, Veränderungen und Disruptionen in den nächsten Tagen, Wochen und Jahren ganz sicher für uns bereithalten wird, und können uns darauf einlassen.
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