Du kannst frei sein
Theologie
Das wäre schön, frei sein! Endlich tun und lassen können, was man will! Keine Grenzen, keine Einschränkungen, nichts, was einen daran hindert, sich zu entfalten. Dass das viel schneller gesagt ist, als dass man die volle Komplexität durchschaut, weiß Eva Dittmann, und lenkt unseren Blick in die richtige Richtung.
Ich sage: „Sie sind ein Sklave!“ Was löst das bei Ihnen aus? Verwirrung? Beklommenheit? Empörung? Fragen Sie sich: Was ist denn das für eine absurde Behauptung? Rufen Sie: Das ist doch vollkommen aus der Luft gegriffen! Ich bin doch nicht versklavt! Wie kommt die Dittmann denn darauf?
Überzeugend und ernüchternd
Ähnlich überrascht und sogar entrüstet zeigten sich auch die Juden, als Jesus sie mit dieser – zugegeben – etwas steilen These konfrontierte. Brüskiert entgegneten sie ihm: „Wir sind Nachkommen Abrahams, wir haben nie jemandem als Sklaven gedient. Wie kannst du da sagen: ‚Ihr müsst frei werden?‘“ (Joh. 8, 33). Die Beweislage schien überzeugend zu sein. Doch die Antwort von Jesus offenbart ihnen nur noch ein weiteres Mal, dass sie die geistliche Realität ihres Daseins nicht wirklich verstanden hatten. Schonungslos stößt er seine Zuhörer vor den Kopf, indem er sagt: „Jeder, der sündigt, ist ein Sklave der Sünde“ (Joh. 8, 34). Man traut sich fast gar nicht, diesen Gedanken weiterzudenken. Denn die Implikationen dieser Aussage sind verheerend: die ganze Menschheit – versklavt! Von der Sünde beherrscht. Vereinnahmt. Unterdrückt. Ohne Hoffnung auf Befreiung. Schließlich leben wir alle in der durch die Sünde gefallenen Welt und können uns aus dieser Knechtschaft nicht selbst befreien.
Das ist ein äußerst ernüchternder Tatbestand. Die Sünde ist der Sklaventreiber der ganzen Menschheit. Und sie versklavt uns in zweierlei Weise: Zum einen, indem sie uns beherrscht und unterdrückt. Wer sündigt, ist nicht mehr sein eigener Herr. Die Sünde nötigt uns, andere Dinge mehr zu lieben als Jesus. Sich selbst mehr zu verherrlichen als Gott. Dem Geschaffenen mehr zu vertrauen als dem Schöpfer. Die Welt, unser Fleisch und der Teufel zerren an unserem Herzen und verschleiern unsere Sicht auf die Realität Gottes. Ja, wer sich der Sünde verschreibt, lebt in einem Kartenhaus aus Lügen – Lügen über Gott, Lügen über uns selbst, Lügen über die Welt und Lügen über das Leben. Und diese Lügen versperren uns den Weg zu einem erfüllten Leben. Sie legen uns in Ketten und drücken uns nieder, damit wir nicht aufblühen und so leben können, wie Gott uns geschaffen hat.
Zum anderen versklavt sie uns, indem sie uns verdammt. Wer sündigt, kann vor Gott nicht bestehen und wird von ihm gerichtet werden. Sünde endet immer tödlich. Sie ist von ihrem Wesen her lebensverneinend. Röm. 6, 23 formuliert das deutlich: „Denn der Lohn der Sünde ist der Tod.“ Und dem Tod Geweihte können niemals wirklich frei sein.
„Ein Mensch ist wirklich frei, wenn er den Wunsch, die Fähigkeit und die Möglichkeit hat, das zu tun, was ihn wahrhaftig erfüllt.“
Über die wahre Freiheit
So langsam macht sich der Elefant im Zimmer doch bemerkbar und stellt die offensichtliche Frage: Und nun? Können wir irgendwie aus dieser Versklavung durch die Sünde befreit werden? Die Antwort von Jesus lautet natürlich: „Ja.“ Doch bevor wir uns seine etwas überraschenden Ausführungen genauer ansehen, lohnt es sich, einen Exkurs über die Freiheit vorzunehmen. Denn in unserer Gesellschaft kursieren einige irreführende Vorstellungen darüber. Und ohne ein angemessenes Verständnis wahrer Freiheit kann auch die Befreiung aus der Versklavung nicht vollständig vollzogen werden. Aber was ist denn wahre Freiheit? John Piper weist uns mit seiner ausgewogenen Definition in die richtige Richtung: „Ein Mensch ist wirklich frei, wenn er den Wunsch, die Fähigkeit und die Möglichkeit hat, das zu tun, was ihn wahrhaftig erfüllt“ (meine Übersetzung). Fehlt einer dieser Aspekte – Wunsch, Fähigkeit, Möglichkeit oder Erfüllung – ist wahre Freiheit nicht möglich.
Um diese Definition auch in ihrer ganzen theologischen Bedeutung entfalten zu können, bietet Piper uns zunächst eine hilfreiche Veranschaulichung: das Fallschirmspringen. Nehmen wir einmal an, Sie wünschen sich, die belebende Freiheit des Fallschirmspringens zu verspüren. So machen Sie sich auf den Weg zum Flughafen, aber Sie bekommen einen platten Reifen. Nun verpassen Sie die Gelegenheit, diesen Sprung zu wagen. Sie sind also nicht mehr frei, weil Ihnen die Freiheit der Möglichkeit entrissen wurde. Angenommen, Sie schaffen es, rechtzeitig am Flughafen anzukommen, aber es stellt sich heraus, dass Sie alle Vorbereitungskurse geschwänzt und eigentlich nicht die geringste Ahnung vom Fallschirmspringen haben. Ihnen fehlen die grundlegenden Fähigkeiten dazu. Sie haben zwar die Möglichkeit zu springen, aber Ihnen fehlt die Freiheit der Fähigkeit.
Angenommen, Sie haben auch diese Hürde genommen und sich alle Qualifikationen angeeignet, die man für ein solches Unterfangen braucht, aber als Sie endlich im Flugzeug sitzen und sich auf Ihren Sprung vorbereiten, befällt Sie eine lähmende Angst. Sie haben zwar die Möglichkeit und die Fähigkeit zu springen, aber Ihnen fehlt die Freiheit des Wunsches. Und angenommen, Sie haben die Möglichkeit, die Fähigkeit und den Wunsch diese Erfahrung zu machen und Sie springen nun aus dem Flugzeug, aber Ihr Fallschirm ist beschädigt und wird sich nicht öffnen. Das, was sich in diesem Moment noch wie wahre Freiheit anfühlt, wird sich in wenigen Sekunden als tödlich erweisen. Alles, was Sie letztendlich zerstört, was nicht zum Leben führt, was Sie nicht wirklich erfüllt, ist keine wirkliche Freiheit, sondern reine Illusion.
Noch einmal: Ein Mensch ist wirklich frei, wenn er den Wunsch, die Fähigkeit und die Möglichkeit hat, das zu tun, was ihn wahrhaftig erfüllt. Freiheit von der Versklavung der Sünde geschieht also nur dann, wenn der Mensch den Wunsch, die Fähigkeit und die Möglichkeit hat, nicht mehr zu sündigen (= Freiheit von der Unterdrückung der Sünde), und wenn er ein wahrhaftig erfülltes Leben führen kann, das nicht zum Tod führt (= Freiheit von der Verdammung durch die Sünde).
Erkennen, was ist
In dem oben angedeuteten Gespräch mit den Juden erhebt Jesus nun den Anspruch, dass Menschen nur durch ihn diese Freiheit erlangen können. Er behauptet: „Nur wenn der Sohn euch frei macht, seid ihr wirklich frei“ (Joh. 8, 36). Gleichzeitig beteuert er aber auch: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8, 32). Für ihn führt der Weg der Freiheit über die Wahrheit – und diese Wahrheit gilt es zu erkennen. Die Frage ist jetzt nur: Wie passt das zusammen? Wer macht denn nun frei? Jesus oder die Wahrheit? Und wie genau werden wir dann freigesetzt? Der Text in Joh. 14, 6 gibt uns den Schlüssel, um die erste Frage zu beantworten. Hier sagt Jesus: „Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, und ich bin das Leben. Zum Vater kommt man nur durch mich.“ Jesus selbst stellt sich hier als die Wahrheit vor. Und noch mehr: Er stellt sich hier als Gott selbst vor. Er verkündigt nicht nur die Wahrheit Gottes – so wie ein Prophet. Nein, er verkörpert hier Gottes Selbstoffenbarung und lässt die Menschen diese göttliche Wahrheit ganzheitlich erfahren und erfassen.
Wer diese Wahrheit erkennt und sich zu eigen macht, ja, wer Jesus erkennt und seiner Einladung folgt, der wird wirklich frei. Aber wie kann die Wahrheit nun frei machen? Zum einen befreit sie uns aus dem selbst errichteten Kartenhaus der Lüge. Wir müssen dem Teufel, dem Muttersprachler der Lüge, keinen Glauben mehr schenken. Wir müssen uns von der Welt und ihren Allüren nicht mehr verleiten lassen. Und wir müssen uns von unserem Fleisch nicht mehr vereinnahmen lassen. Geleitet von der Wahrheit Gottes, können wir nun den Weg des Lebens bestreiten. Lernen, wirklich Mensch zu sein. Die Flügel auszubreiten und aufzuschwingen wie ein Adler. Und von Jesus erfüllt und befreit zu leben. So wie Gott sich das vorgestellt hat. Der Geist Gottes, der Geist der Wahrheit (Joh. 16, 13), wird uns dabei begleiten. Er wird uns den Wunsch, die Möglichkeit und die Fähigkeit schenken, uns diese Wahrheit zu eigen zu machen. Diese Wahrheit zu leben. Zum anderen befreit uns Jesus, die Wahrheit, selbst durch seinen Tod am Kreuz. Hier wird dem Tod die Macht genommen. Hier wird die Sünde in die Schranken gewiesen. Hier eröffnet Jesus den Weg zu Gott. Den Weg zur wahren Freiheit. Den Weg zum erfüllten Leben. Ja, in Jesus befreit uns die Wahrheit sowohl von der Unterdrückung der Sünde als auch von der Verdammung durch die Sünde. Und so spricht Jesus durch seine Behauptung auch eine Einladung aus. Wer ihr folgt und die Wahrheit kennenlernt, der wird wirklich frei.
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