Dass die Balken sich biegen

Analyse

Sehr schön. Die Bibel beschreibt die Schönheit und Reinheit des menschlichen Seins und stellt stets das Beste raus. Ha, Fehlanzeige! Realistisch wie kaum ein anderes dokumentiert dieses Buch die Abgründe menschlichen Eigensinns und kommt zu einem ganz erstaunlichen Ergebnis, meint Dr. Christoph Stenschke.

Lug und Trug durchziehen die Bibel von Anfang bis Ende. Lüge ist das Auseinanderklaffen von gemachter Aussage und tatsächlichem Sachverhalt, von Zusage und nicht erfolgter Leistung, von Reden und Tun. Sie erscheint zum einen in Texten, oft Gesetzestexten, die Lüge verbieten – indem etwa vor Gericht ein falsches Zeugnis abgelegt wird – bzw. die zu wahrhaftigem Reden und Handeln auffordern. Zum anderen erscheinen kleine und große Lügen in den Erzähltexten der Bibel – teilweise mit verheerenden Folgen für die Lügner selbst und für die Menschen, die von ihren Lügen betroffen sind. Selbst von den großen Gestalten der Bibel, die anderweitig gelobt werden, werden Lügen berichtet. Lügen ist so verbreitet, ja so typisch menschlich, dass das biblische Urteil vernichtend ausfällt: „Alle Menschen sind Lügner“ (Ps. 116, 11). Gott dagegen ist in allem wahrhaftig. „Gott ist kein Mensch, dass er lügt. Was er sagt, das tut er auch“ (4. Mo. 23, 19). In der Bibel zeigt sich durchweg, dass Lüge die Gemeinschaft mit den Mitmenschen und mit Gott stört und zerstören kann. Einige Beispiele genügen. 

Peinlich, dreist und abgebrüht

Aus Angst um sein eigenes Leben lügt Abraham, als er nach Ägypten zieht. Seine bildschöne Frau Sarai soll sich als seine Schwester ausgeben, damit ihm nichts geschieht und er um ihretwillen gut behandelt wird. Was dadurch seiner Frau geschehen kann und tatsächlich geschieht, ist ihm weniger wichtig. Nur weil Gott eingreift, kommen die beiden glimpflich davon. Vom Pharao, der sich ahnungslos beinahe an Sarai vergangen hätte und dessen Zorn sie auf sich gezogen haben, werden sie aus Ägypten gejagt … und in ihrer Beziehung gab es wohl auch einiges zu klären (1. Mo. 12, 10 – 20). Als Abraham und der unfruchtbaren Sarai später, in ihrem hohen Alter, die Geburt eines Sohnes angekündigt wird, kann sie nur lachen – dummes Männergeschwätz! Wenig später lügt sie („Ich habe doch nicht gelacht“), um der peinlichen Situation zu entkommen. Weit kommt sie damit nicht: “Doch, du hast gelacht!“ entgegnet ihr der Herr (1. Mo. 18, 11 – 15). 

Rebekka und ihr Sohn Jakob belügen genau diesen Sohn Abrahams, Isaak. Der will seinem Sohn Esau den besonderen Segen für den Erstgeborenen spenden. Auf Anraten der Mutter gibt sich Jakob gegenüber dem erblindeten Vater dreist mehrfach als sein älterer Bruder Esau aus. Der Plan geht auf, Jakob bekommt, was er will, bezahlt aber einen hohen Preis. Er muss vor den Mordabsichten seines Bruders fliehen, seine Familie und Heimat verlassen und viele Jahre in der Fremde leben. Erst Jahre später kommt es zu einer Aussöhnung. Der alte Isaak dürfte sein Vertrauen in Frau und Sohn verloren haben.

„Auch wenn die Sache allzu durchsichtig ist und Pilatus Jesus mehrfach für unschuldig erklärt, stehen diese falschen Anschuldigungen am Anfang der Passion Jesu. Hier dient die Lüge der Durchsetzung der eigenen Interessen, wenn dies mit der Wahrheit nicht möglich ist.“

Ganz schön harter Tobak

Um ihr perverses Handeln zu vertuschen (den unliebsamen jüngeren Halbbruder hat man flugs in die Sklaverei verkauft!), lügen Josefs Brüder nach ihrer Rückkehr den alten Jakob an. Ein wildes Tier muss Josef erwischt und getötet haben – nur seine blutgetränkten Kleider haben sie noch finden können. Wie tragisch … Als die Wahrheit viele Jahre später ans Licht kommt, müssen Josefs Brüder nicht nur für den Verkauf ihres Bruders geradestehen, sondern auch dafür, dass das Vertrauen ihres alten Vaters gezielt missbraucht zu haben. 

Bei der Eroberung des Landes Kanaan geben die Bewohner der nahe gelegenen Stadt Gibeon geschickt vor, aus der Ferne zu kommen (sie erscheinen mit zerschlissenen Schuhen und Kleidern), um mit dem Volk Israel ein Bündnis schließen zu können (Jos. 9). Hier dient die Lüge dazu, die eigene Zukunft zu sichern. Als die Sache auffliegt, werden die Gibeoniter verflucht und verurteilt, körperlich anstrengende Sklavendienste für das Heiligtum Israels zu leisten. 

Von der Wahrheit zur Lüge

Die Gegner von Jesus gehen massiv gegen ihn vor und verdrehen die Wahrheit: Ein Aufrührer sei er, der die bestehende Ordnung stürzen wolle (etwa Lk. 23, 2). Jedes Mittel scheint ihnen recht. Die falschen Anschuldigungen sollen die Römer veranlassen, Jesus zu beseitigen. Auch wenn die Sache allzu durchsichtig ist und Pilatus Jesus mehrfach für unschuldig erklärt, stehen diese falschen Anschuldigungen am Anfang der Passion Jesu. Hier dient die Lüge der Durchsetzung der eigenen Interessen, wenn dies mit der Wahrheit nicht möglich ist. Einer aus dem engsten Kreis der Nachfolger Jesu schwört nach dessen Verhaftung dreimal, Jesus nicht einmal zu kennen (Lk. 23, 54 – 62). Als Petrus klar wird, dass ihn seine Loyalität zu Jesus und vielleicht auch seine Neugier zur falschen Zeit an dem falschen Ort gebracht hat, lügt er, weil er jetzt als Anhänger dieses Jesus um sein eigenes Leben fürchten muss. Einen anderen Ausweg sieht er in diesem Moment nicht. Die Sache endet in Verzweiflung und Tränen. Geklärt wird das Geschehen erst, als der auferstandene Jesus neu auf Petrus zugeht, ihm vergibt und ihn wiedereinsetzt (Joh. 21, 15 – 19). 
    
Nach Pfingsten belügen Ananias und Saphira Petrus und die Gemeinde in Jerusalem. Aus Heuchelei und um ihr Image in der Gemeinde aufzupolieren bzw. es nicht zu gefährden, geben sie vor, den ganzen Erlös ihres verkauften Ackers zu spenden. Selbst als Petrus sie direkt darauf anspricht, bleiben beide bei der Unwahrheit, auf die sie sich geeinigt hatten – und bezahlen das mit ihrem Leben (Apg. 5, 1 – 11). Hier wird gelogen, um das Gesicht zu bewahren. Im Verlauf der Apostelgeschichte werden die urchristlichen Missionare immer wieder verleumdet und falsch angeklagt (vgl. 17, 6 – 8) … und oft entsprechend behandelt. Auch hier wird zur Lüge gegriffen, wenn man mit der Wahrheit nicht weiterkommt. 

Der kann nichts anderes

Interessant ist, dass in der Bibel Menschen nicht nur von Menschen belogen werden. Schon in der Erzählung vom Sündenfall verspricht der Satan Adam und Eva, dass sie sein werden wie Gott. Ja, nach dem Sündenfall wussten sie zwar, was gut und böse ist, aber wie Gott waren sie längst nicht (1. Mo. 3). Satan verspricht Jesus die Weltherrschaft, wenn dieser ihn nur anbeten und anerkennen würde (Lk. 4, 5 – 8). Doch die Weltherrschaft gehört allein Gott und der gibt sie, wem er will (vgl. Dan 4). Später bezeichnet Jesus den Teufel als den Vater, den Ursprung, der Lüge (Joh. 8, 44). 

Jetzt und hier mögen große und kleine Lügen Vorteile bringen, aus peinlichen Situationen helfen, dazu dienen, die eigenen Interessen durchzusetzen und anderweitig nützlich sein. Vor Gott jedoch, der die Wahrheit kennt und liebt, haben Lügner und ihre Lügen keinen Bestand (Off. 21, 8, 27; 22, 15). 

Zugleich ist es tröstlich zu sehen, dass Menschen und ihre Lügen nicht das Ende bedeuten: Gott macht mit Abraham weiter. Auch mit Jakob hat er Erbarmen. Jesus macht mit Petrus weiter. Das Angebot der Vergebung gilt auch für die Menschen, die Jesus mit ihren Lügen zur Strecke gebracht haben. Auch für sie gibt es Vergebung und Erneuerung (Apg. 2, 38). Die Bibel lädt uns ein, mit all unserer Unwahrheit zu Gott zu kommen, der sie sowieso längst durchschaut und uns zu einem wahren und wahrhaftigen Leben verhelfen möchte. Sind Sie dabei?

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