Weg mit den frommen Mantras
Plädoyer
Gestalte dein Leben, bevor es dich gestaltet. Unter diesem Slogan lebt und arbeitet Verena Birchler, motiviert, polarisiert und stellt in ihrem Beitrag die unumwundene Frage nach Gott und seinem Vermögen, die Menschen glücklich zu machen. Dabei meint sie, wir könnten gut auf fromme Sprüche verzichten und täten gut daran, uns auf die ganze geistliche Wahrheit zu konzentrieren.
Es ist wieder einer dieser Tage, an denen ich mich ärgere. Nicht so sehr, dass mein Blutdruck in die Höhe schnellt, aber doch ordentlich. Unterwegs mit dem Auto lese ich in großen Lettern am Straßenrand auf einem Plakat den Satz: „Liebe Jesus von ganzem Herzen, dann wird er dich auch lieben.“ Solche theologischen Verkürzungen sind ein Verbrechen. Leider lese ich solche – oder ähnliche Zitate – öfters.
Die Verkürzung geistlicher Wahrheit
Jesus hat uns zuerst geliebt. Ohne Wenn und Aber. So sehr, dass er sogar sein Leben gab. Da war kein, „ich gehe erst ans Kreuz, wenn du mich liebst“. Gottes Liebe ist keine Verhandlungssache. Oft gibt es diese Wohlfühlsätze, die uns das Gefühl vermitteln, wer mit Gott lebt, sei glücklicher als ohne. Was mich an diesen frommen Mantras ärgert, ist die Verkürzung von geistlichen Wahrheiten. Ein paar Beispiele gefällig? „Gott kümmert sich selbst um die kleinsten Dinge.“ Warum bleiben denn meine unbezahlten Rechnungen liegen? Oder was genau sind die kleinsten Dinge? Und ist Gott dazu da, sich um meine kleinen Dinge zu kümmern? Gott ist doch nicht mein Angestellter. Gut, es können auch größere Dinge sein. Öfter habe ich folgende Situation erlebt: Der Leiter einer größeren Organisation erwähnt in der Predigt ganz zerknirscht, dass sein Auto wegen Altersschwäche den Dienst quittiert hat. Lang und breit wird das erzählt, mit Humor und dem nötigen Grad an Demut. Selbstverständlich ist diese Information eingebettet in ein entsprechendes Thema. Natürlich erwähnt dieser Leiter, dass er sich keine Sorgen macht, Gott wisse ja, was er braucht. Überraschung! Am nächsten Sonntag erzählt derselbe Prediger, dass jemand von Gott berührt wurde und ihm ein Auto geschenkt hat. Selbstverständlich wieder mit Humor und Demut. Solche Geschichten habe ich schon so oft gehört, dass ich sie inzwischen Privat-Fundraising nenne. Ja, es gibt Überraschungen, in denen wir von Gott unerwartet beschenkt werden. Aber manchmal müssen wir für unsere Wünsche halt einfach nur sparen. Gott ist nicht dazu da, sich um unsere kleinsten Dinge zu kümmern.
Wir erwarten, dass Gott uns glücklich macht
„Durch Jesus sind wir frei“. Da haben wir ein weiteres christliches Mantra. Frei wovon? Von Süchten? Ja, gibt es. Von Krankheiten? Ja, kann es auch geben. Aber was ist mit denen, die ihre Sucht nicht in den Griff bekommen? Mit solchen, deren Krankheit im Sterben endet? Mit Leuten, die ihre Armut aufs Sozialamt führt? Mit Ehen, wo die Scheidung nicht mehr zu verhindern ist? Der oben erwähnte Satz vermittelt: ein Leben mit Gott macht frei und deshalb glücklich. Und sollte es nicht so sein, dann hat die betreffende Person halt einfach gesündigt und deshalb hat sich Gott von ihr abgewendet.
Solche Sätze könnte ich jetzt schier endlos aneinanderreihen. Aber worum geht es denn in diesen Aussagen? Im Grunde genommen immer darum, dass Gott mich glücklich macht … oder ich das von ihm erwarte. Aber das ist nicht der Kern des Evangeliums. Denn was wäre dann mit all denen, die nicht in unserer Kultur leben? Einer Kultur, die geprägt ist von Wohlstand, Bildung und guten Gesundheitssystemen. Nicht überall gleich, aber im Vergleich zu Drittweltländern geht es uns gut. Ich glaube kaum, dass die Ärmsten auf unserem Globus in flotten Sprüchen sagen würden: „Gott macht mich glücklich.“ Sondern vielleicht eher: „Ich bin dankbar, dass Gott uns in unserer Armut hilft. Ohne ihn wäre all das wirklich unerträglich.“ Hat Gott bei jenen Menschen versagt? Oder hat er uns lieber als sie? Nein, Gott sucht die Beziehung zu uns. Aber nicht durch glücklich machen. Die vielen Wohlstands- und Wellbeeing-Prediger weltweit verheißen bei ordentlichem Glauben, bei regelmäßigem Gebet und pflichtbewusstem Kirchenbesuch durchaus messbare Resultate. Dazu gehören dann z. B. ein Swimmingpool, SUV und die teuerste Kamera, mit der man zur Ehre Gottes fotografieren und im eigenen Youtube-Kanal kreativ zum Kaufen dieser Fotos aufrufen kann.
Glück und glücklich sein, ist eine zerbrechliche Angelegenheit. Deshalb sollten wir Gott nicht in die Reihe von Glücksgaranten stellen. Gott ist so viel größer. Kennen Sie eventuell noch das Lied mit dem Text:
„Ein heller Morgen ohne Sorgen folget der düsteren Nacht. Nach Dunkel und Schatten leuchten die Matten, die Flur und der Wald erwacht. Des Herren Macht hat Licht gebracht.“
Als Kanon gesungen, macht dieser Text durchaus etwas her, zeigt aber nicht die Wirklichkeit. Hier ist er wieder. Der Glücklichmacher. Der Gott, der Dunkelheit und Sorgen vertreibt. Wir alle wissen es aber zu genau. Die Sorgen können wir nicht einfach wegschlafen. Lebensumstände verändern sich nicht durch acht Stunden Schlaf. Wir erwachen nach unruhigen Stunden und stehen mit beiden Beinen fest auf dem Scherbenhaufen unseres Lebens. Wir spüren die blauen Flecken auf unserer Seele. In diesem Zustand gehen wir in den neuen Tag. In solchen Momenten ist Gott da. Nicht, um uns glücklich zu machen.
Ich hatte das Auf und Ab nicht im Griff
Für mich ist es immer ein tröstlicher Gedanke, dass Gott mich in meinen Sorgen begleitet. Auch als Christen haben wir Sorgen, Ängste, Nöte. Und die bringen wir nicht unter Kontrolle, wenn wir uns gegenseitig mit frommen Kalendersprüchen zutexten. Wenn eigene Kinder sterben, der Partner fremdgeht, die Firma plötzlich schließt und damit der Arbeitsplatz verloren geht, helfen solche anfangs erwähnten Sprüche wie „Gott kümmert sich selbst um die kleinsten Dinge“ nichts. Aber es hilft, wenn ich mich mit meinen blauen Flecken auf der Seele Gott zuwende. Wie es die Psalmisten gemacht haben. Ihre vielen Gebetsschreie waren kein Zeichen von „wer mit Gott lebt, lebt glücklicher“. Aber sie zeigen oft die wichtigste Haltung überhaupt. Wende dich Gott zu. Mach keine Show vor ihm. Vor allem keine Glaubensshow. Als ich vor vielen Jahren, ich war damals so zwischen 30 und 40 Jahre alt, starke Depressionen hatte, halfen mir keine frommen Sprüche. Mir hat damals geholfen, dass ich ehrlich zweifeln, hoffen, glauben, hoffen, zweifeln, glauben, glauben, zweifeln, hoffen konnte. Dieses Auf und Ab meiner Gefühle hatte ich kaum im Griff. Damals wurde für mich ein Gedanke wichtig. Ich spürte, Gott wird nicht einfach durch einen Knopfdruck, durch ein Gebet, durch was auch immer heilend eingreifen. Mir wurde bewusst, Gott begleitet mich in meinen Sorgen und Ängsten. Da war nichts mit „ein neuer Morgen ohne Sorgen“. Aber da war ein starkes „Ich begleite dich auch heute Morgen in deinen Sorgen.“ Gott ist für mich kein Glücklichmacher, er ist kein „Wenn du – dann ich“-Gott. Gott möchte Beziehung zu uns Menschen. Das ist mir damals klar geworden. Und das ist das Größte überhaupt.
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