Es geht doch nur ums Überleben
Essay
Da gibt es so ein gewisses Hin und Her um die Frage nach dem Glück. Die Einen wollen es unbedingt finden, die Anderen meinen, das sei eine völlig falsche Lebenshaltung, das Glück werde maßlos überbewertet. Dr. Martina Kessler nähert sich dieser Frage auf dem Pfad der Persönlichkeitslehre und ordnet erhellend ein, was der eigene „Typ“ mit dem Glück zu tun hat.
„Glücklich, glücklich!? Die Deutschen fragen mich immer, ob ich glücklich bin!“ Mit diesem Satz eröffnet Donata das Gespräch. Für sie als Polin war es „typisch deutsch“ eine solche Frage zu stellen. Vermutlich begegnete Donata vor allem solchen Deutschen, für die „Glück“ ein erstrebenswertes Ziel ist. Aber es gibt auch die anderen Deutschen, wie zum Beispiel meinen Mann, meine Schwiegermutter, einen guter Freund … Für sie ist ausdrückliches Glücklichsein nicht so wichtig. Manche der Genannten verstehen nicht einmal die Frage: „Bist du glücklich?“ Andere werden misstrauisch, wenn Menschen sagen: „Ich bin glücklich!“.
Das Recht, nach Glück zu streben
Ob glücklich werden ein erstrebenswertes Ziel ist, wird mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten diskutiert. Viele Leute sind sich sicher: „Jeder will glücklich sein!“ Das Recht, nach Glück zu streben („Pursuit of Happiness“), ist sogar in der Verfassung der USA verankert. Dabei geht es um die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, was hier mit „Glück“ bezeichnet wird. Soziologen sagen jedoch, dass die Suche nach dem Glück eher unglücklich macht. Nach Hirschhausen ist das Glück differenziert zu betrachten:
• Glück durch überwältigende Dinge des Lebens wie Musik, Natur und Stille. Dinge, die einen Gänsehautmoment
der Glückseligkeit auslösen können.
• Glück, das im Genuss liegt. Zu viel davon wird das Glück schon wieder deutlich minimieren.
• Glück aus der Selbstüberwindung meint, dass man sich in Zufriedenheit übt und erfüllt lebt.
• Glück, das durch Freundschaft, Liebe und Familienbindungen entsteht. Es ist oft eine Quelle großen Glücks – und auch großen Unglücks.
• Das Glücksgefühl des Zufalls kommt bei einem überraschenden Lottogewinn, beim Finden eines Centstücks, in das man Glück hineininterpretiert, oder wenn man ein unerwartetes Lob bekommt. Logisch, dass dieses zufällige Glück keine dauerhafte Glücksquelle anbietet und wahrlich flüchtig ist.
Manche sind gerne unglücklich
Hirschhausen ist auch sicher: Menschen sind gerne unglücklich! Menschen mit dieser Grundhaltung geht es dann gut, wenn es ihnen nicht gut geht. Auch ich habe in der Beratung immer mal wieder mit Personen zu tun, die dieses Lebensmotto haben. Außerdem, so Hirschhausen, sei der Mensch nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um zu überleben. Glücksmomente dienen der Motivation und verbessern die Überlebenschancen, weil Menschen aus dem Wechsel von Glück, neutralen Momenten und Unglück lernen.
Ob nun ein Mensch mehr oder weniger nach Glück strebt oder es gar nicht anstrebt, hat viel mit seiner Persönlichkeit zu tun. Grundsätzlich sind Menschen, die anderen Menschen und der Welt zugewandt sind, eher optimistische Leute. Sie stehen im Kontrast zu den eher kritisch-pessimistischen, aufgabenorientierten Menschen. Die erste Gruppe will positive Gefühle und bezeichnet dies gern als Glück, sie wollen glücklich sein. Über diese Menschen spreche ich in diesem Beitrag nicht. Die zweite Gruppe ist eher reserviert-vorsichtig – auch in ihren Erwartungen an Glücksgefühle. Für diese ist, wie für Donata, das Leben okay, wenn es okay ist! Und um sie geht es in diesem Artikel besonders.
„Glücksmomente dienen der Motivation und verbessern die Überlebenschancen, weil Menschen aus dem Wechsel von Glück, neutralen Momenten und Unglück lernen.“
Es geht ums Wesentliche
Menschen, die eher kritisch-pessimistisch und aufgabenorientiert durchs Leben gehen, erleben ihre Umwelt oft als anstrengend und stressig. Manche treten dabei bestimmt auf, andere sind ihrem Umfeld gegenüber eher zurückhaltend. Die bestimmt auftretenden, direkt-dominanten Menschen sind zumeist zweck- und zielorientiert unterwegs. Sie lösen Probleme, die sie am liebsten nur als Herausforderungen bezeichnen. Ihnen sind Kontakte zu anderen Menschen nicht so wichtig, sie sind anspruchsvoll und direkt, neigen zu Ungeduld und lieben es, Autorität zu haben. Sie wollen sich auf das Wesentliche konzentrieren. Zu ihnen gehört auch die Konzentration auf sich selbst. Jan ist ein Beispiel für eine solche Lebensart. In seinem Wortschatz kommt die Formulierung „glücklich sein wollen“ nicht vor. Er ist zufrieden, wenn es „passt“ oder „läuft“, wenn es „okay“ oder „alles im grünen Bereich“ ist. Aber glücklich sein, das strebt er gar nicht an. Das ist ihm viel zu zufällig und gefühlvoll.
Glück ist nicht vorgesehen
Stärker zurückhaltende, aufgabenorientierte Menschen sind sehr oft gewissenhaft. Sie lieben es, genau und gründlich zu sein und sie stehen für Qualität. Sie wägen vorsichtig und zögerlich Details ab. Bei Sachgesprächen, wenn es um Fakten oder das Erwägen von Alternativen geht, sind sie gute Zuhörer und Mitdenker. Dabei sind sie sicherer als bei Gesprächen, die sich um menschliche Eigenheiten, Konflikte oder Beziehungen drehen. Allerdings gehen sie mit anderen diplomatisch und höflich um. Donatas Persönlichkeit ist so. Und auch sie spricht eher vom Streben nach Zufriedenheit als vom Streben nach Glück. Würde sie nach Glück streben, würde sie sich viel zu abhängig von Zufällen erleben. Zufriedenheit hingegen sieht sie als einen Zustand, der durch Engagement erreicht werden kann. Ob sie innerlich ausgeglichen ist und die gegebenen Umstände akzeptiert, das betrachtet sie als ihre Entscheidung, denn darauf hat sie Einfluss.
Nichts dem Zufall überlassen
Beide Gruppen, also die nach Glück Strebenden, über die ich hier nicht schreibe, wie auch die, die nicht nach Glück suchen, fühlen sich sicher, wenn sie sich in ihrem Areal der Sach- und Aufgabenorientiertheit aufhalten können. Diese Lebensbezüge sind zumeist kalkulier- und gestaltbar und Menschen mit den genannten Persönlichkeitsfacetten überlassen sich nicht gerne dem Zufall. Andere Menschen erleben sie oft als nicht kalkulierbar und anstrengend. Häufig haben sie auch hohe wachsame Anteile, die durch ein (auf jeden Fall aus ihrer eigenen Sicht) gesundes Misstrauen genährt werden. Die Menschen, für die „glücklich werden“ kein erstrebenswertes Ziel ist, wollen Herausforderungen meistern, Zufriedenheit erreichen, ein Leben, das okay ist. Sie wollen frei von unüberwindbaren Sorgen sein, Frieden haben, gut leben und lebenssatt sterben können. Daher übersetzen sie das Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied“ für sich auch gerne mit „Jeder ist selbst verant-wortlich dafür, dass er zufrieden ist“. So geht es auch Donata. Ihr Ziel ist, das Leben so zu gestalten, dass es ihr und ihrer Familie gut geht. Sie will zufrieden leben können! Ob sie glücklich werden will? Diese Frage ist für sie nicht mal einen Gedanken wert.
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