Wie blind man ist, merkt nur der andere

Gedanken

Der Einsatz für Gott ist vielen Christen heilig. Sie geben sich hin, kümmern sich rührend um andere und haben nur ein Ziel vor Augen: das zu tun, was Gott von ihnen möchte. Was eine wunderbare Sache ist, aber nicht immer einwandfrei funktioniert. Deshalb müssen wir drüber reden. Über den Egoismus im Dienst, unsere blinden Flecken und das destruktive Sich-um-sich-selbst-drehen. Dr. Simone Flad hat sich dieser nicht ganz einfachen Aufgabe angenommen.

Was für ein Thema! Die Rolle meines „Ichs“ in meinem Dienst für Gott. Ist mein Dienst für Gott nicht über alle Zweifel erhaben? Schließlich ist es ein Dienst für Gott! Ich bin dabei ja gar nicht so wichtig. Jedenfalls nicht offensichtlich. Oder irre ich mich und es ist manchmal doch für andere ersichtlich, nur für mich eben nicht? Andererseits: natürlich komme „ich“ in meinem Dienst für Gott vor. Schließlich bin ich diejenige, die Gott mit bestimmten Aufgaben dienen will und die er auch dazu berufen hat! Die Frage ist eben: Welchen Stellenwert hat mein Ego in meinem Dienst für Gott? Nimmt mein „Ich“ die angemessene, aus Gottes Sicht richtige, Stellung ein? Oder sieht alles frömmer aus, als es ist, und mein Dienst für Gott und den Nächsten ist in erster Linie ein Dienst an mir selbst – schön fromm ummantelt, damit es nicht auffällt? Ich fürchte, dass die Motivationslage an dieser Stelle bei den allermeisten von uns gemischt ist. Das wird wohl bis ans Ende dieser Welt so bleiben. Und gerade deshalb ist es eine wichtige Frage, der wir uns immer wieder mal stellen sollten. Dazu ruft uns jedenfalls Paulus auf im Brief an die Kolosser: „Alles was ihr tut, das tut von Herzen als für den Herrn und nicht für die Menschen“ (Kol. 3, 23) – also auch nicht für mich selbst!

Um wen oder was geht es wirklich?

Eine zu große Rolle meines Egos in meinem Dienst für Gott kann ganz unterschiedlich aussehen: Bei meinem Dienst geht es mir um mein Ansehen, um meine Pläne und Ideen. Oder der Dienst für Gott stützt mein schwaches Selbstbewusstsein, ich brauche die Aufgabe, um jemand zu sein. Oder ich verwechsele meine Vorlieben oder Befürchtungen mit Gottes Wegweisung für eine bestimmte Situation. Solche Verschiebungen sieht man vielleicht im Leben anderer klarer als bei sich selbst.

„Nimmt mein „Ich“ die angemessene, aus Gottes Sicht richtige, Stellung ein? Oder sieht alles frömmer aus, als es ist, und mein Dienst für Gott und den Nächsten ist in erster Linie ein Dienst an mir selbst – schön fromm ummantelt, damit es nicht auffällt?“

Ich beobachte jemanden oder höre ihm zu und frage mich dann, ob es dieser Person um Gott geht oder nicht viel mehr um sich selbst, um ihr Ansehen, ihre Identität, ihre Pläne oder Vorlieben. Wenn wir solche Gedanken haben, befinden wir uns in einem Zwiespalt: wir können Verhaltensweisen beobachten und daraus unsere Schlüsse ziehen und unsere Fragen stellen und liegen oft wahrscheinlich gar nicht ganz falsch. Aber vielleicht eben doch. Wir können nicht in das Herz eines anderen sehen, das kann nur Gott!

Wenn einer alles auf eine Karte setzt

Ich denke da an C. T. Studd (1860 – 1931). Allen, die sich etwas mit Missionsgeschichte beschäftigt haben, ist er als Gründer des Missionswerkes WEC International bekannt. Als vielversprechender junger Student und erfolgreicher Kricketspieler war er in England am Ende des 19. Jahrhunderts eine Berühmtheit. Durch eine Predigt von Hudson Taylor, dem Gründer der China-Inland-Mission (CIM), erlebte er eine Berufung Gottes, als Missionar nach China zu gehen. Zusammen mit sechs weiteren vielversprechenden Studenten sollten sie als die „Cambridge Seven“ in die Missionsgeschichte eingehen. Studd war durch und durch ein Initiator und Pionier, der sich in bestehende Missionsstrukturen nicht wirklich einfinden konnte. So arbeitete er mit seiner Frau Priscilla in China mehr oder weniger unabhängig von der CIM Hudson Taylors. Später gründete er seine eigene Missionsgesellschaft, die „Heart of Africa Mission“ (seit 1919 WEC genannt), um eine Missionsarbeit im Herzen Afrikas (dem von christlicher Missionsarbeit noch kaum berührten Nordosten des heutigen Kongo) zu beginnen. WEC International ist heute eine der größten Missionsgesellschaften, die in aller Welt knapp 2000 Missionare hat. C. T. Studd – ein großes Vorbild der Hingabe an Gott und ein Mann, der reiche Segensspuren hinterlassen hat! 

Aber eben nicht nur. Studd war – je länger, desto mehr – überzeugt, dass, wenn er einmal vor Gott eine bestimmte Sichtweise einer Situation gewonnen hatte, diese mit allen Mitteln zu halten sei. Sein Reden und Handeln spiegelten seine Überzeugung wider, dass seine einmal gefassten Pläne, seine Ansichten, seine Methoden dem Willen Gottes für diese Situation entsprachen. Alle Anfragen, jede Kritik von anderen sah er als Anfechtung, ihn vom richtigen Weg abzubringen. Das Hören auf Ratschläge oder Warnungen anderer Christen verstand er als Menschenfurcht. Er war kein Diplomat, er war ein Kämpfer. Er konnte keine anderen Meinungen neben sich dulden. Dadurch hat er viele Probleme, Verletzungen und letztlich Trennungen von Mitmissionaren und Unterstützern in England verursacht. Am Ende seines Lebens, das doch gerade im Kongo für die Verbreitung des Evangeliums so viel gute Frucht gebracht hat, stand er fast allein da. Nur seine Frau und sein Schwiegersohn standen unerschütterlich an seiner Seite – wenn auch mit ihren eigenen inneren Vorbehalten.

Wohl dem, der gute Freunde hat!

Wie ist das also mit dem „Ich“ im Dienst für Gott? Es scheint, dass Studd vor allem in den letzten 20 Jahren seines Lebens keinem menschlichen Einfluss gegenüber mehr offen war. Er sah seine Ansichten und Standpunkte als absolut und war nicht bereit, Anfragen oder Ratschläge von anderen zu berücksichtigen. Was er meinte, vor Gott erkannt zu haben, war für ihn Gesetz – und er erwartete, dass dies auch für seine Mitstreiter galt. Studd wollte sein Leben und Dienen ganz an der Bibel ausrichten. Aber trotz intensiven Bibelstudiums scheint er vieles sehr einseitig betrachtet zu haben. Den Wert von christlicher Gemeinschaft konnte er nicht sehen. Sein Blick war auf Stellen fokussiert, die von der Nachfolge als Kampf sprechen, von dem Auftrag, andere zurechtzuweisen, und davon, im Dienst für Gott alles hintenan zu stellen. Andere Bibelstellen, die zum Beispiel von der Liebe zu den Glaubensgeschwistern, von Barmherzigkeit auch unter Christen oder der Fürsorge für die eigene Familie sprachen, nahm er nicht in demselben Maße wahr. Da war mancher blinde Fleck. Und offensichtlich hatte Studd niemanden, der ihn darauf aufmerksam machen durfte. 

Deshalb ist die Beschäftigung mit diesem Thema letztlich ein Plädoyer für christliche Gemeinschaft! Für Freunde, Begleiter, Mentoren oder geistliche Eltern, die bewusst als Wegbegleiter ihren Platz in meinem christlichen Leben haben sollen. Für Mitchristen, die ich dankbar als Bereicherung und auch als Korrektur für meine Erkenntnis und mein Dienen in meinem Leben willkommen heiße. Ja, noch mehr: jeder Christ – vor allem in einem vollzeitlichen Dienst für Gott – sollte mindestens eine Person in seinem Leben haben, die die Erlaubnis hat, wirklich in sein Leben hineinzusprechen. Die den Auftrag hat, auch unbequeme Fragen zu stellen. Die ausdrücklich auf blinde Flecken in meiner Wahrnehmung hinweisen darf. Wohl dem, der solche Freunde oder geistliche Mütter und Väter sucht und findet und sich von ihnen in sein Leben reinreden lässt. Auch in den Dienst für Gott. Solche Wegbegleiter spielen eine wichtige Rolle darin, unserem „Ich“ den angemessenen Platz in unserem Dienst für Gott zuzuweisen.

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