Vom Beten und der Wunscherfüllung

Essay

Der Junge, der einmal zu Gott sagte: „Bitte mach, dass Paris die Hauptstadt von England ist, sonst habe ich die Klassenarbeit verhauen!“, hatte sicher nicht alle theologischen Feinheiten vor Augen, an die man beim Thema Gebet durchaus denken könnte. Er wollte zunächst einfach nur für sich gesorgt wissen. Der Rest war ihm egal. Dr. Steffen Schulte hat sich Gedanken darüber gemacht, ob unsere Gespräche mit Gott nicht im Grunde sehr egoistisch sind. Und kommt zu einem bemerkenswerten Ergebnis.

Warum beten wir eigentlich? Und machen wir Gott durch unsere Gebete nicht zu unserem Diener? 
Diese Frage mag sich seltsam anhören, aber ich habe sie von Christen und Nicht-Christen gestellt bekommen. Und ich habe mich das auch selbst schon gefragt. Wenn Gott doch souverän ist, dann geschieht doch sowieso alles so, wie er es vorherbestimmt hat. Wie kann unser Gebet da noch einen Beitrag leisten? Oder anders gefragt: Welche Funktion hat unser Gebet? Außerdem ist Gott doch gut, warum sollen wir dann noch unsere Bitten vor ihm bringen? Er soll doch einfach machen. Bekennen, Danken und Lobpreisen, das macht für uns Sinn, denn all das sind Reaktionen auf Gottes Handeln.  Fürbitte dagegen wirft einige Fragen auf. Manche beten so, als müssten sie mit ihren Gebeten versuchen, einen trägen und gleichgültigen Gott zu motivieren. So, als wäre es unsere Aufgabe, Gott durch unsere Gebete dazu bringen, Gutes zu tun oder ihn darüber zu informieren, wie schlimm es hier auf der Erde zugeht. Aber das passt gar nicht zu der Art und Weise wie sich Gott in der Bibel offenbart. Gott ist uns nicht fern und auch nicht apathisch unserer Not gegenüber. 

Eine wichtige Einsicht

Natürlich kann man sich damit begnügen, dass Gott uns in der Bibel dazu einlädt und auffordert, unsere Bitten vor ihn zu bringen, aber oft hindern uns solche Anfragen wie die oben erwähnte daran, uns ganz dem Gebet hinzugeben. Es bleibt ein fader Nachgeschmack der Unsicherheit. Manche argumentieren, dass das Fürbitte-Gebet nur uns verändert, nicht aber die Situation oder die Person, für die wir beten. Sören Kierkegaard hat zum Beispiel geschrieben, dass Gebet nicht Gott verändert, sondern uns. Dies ist gewiss eine Erfahrung, die wir oft erleben, wenn wir Fürbitte tun. Beim Beten verändert sich unsere Haltung. Dies ist auch wichtig. Nicht all unsere Gebetsanliegen sind gut, und nicht immer beten wir aus guten Motiven heraus. Manchmal wollen wir Gott in einen galaktischen Cola-Automaten verwandeln. Durch unsere Gebete wollen wir ihn dazu bringen, unsere Wünsche zu erfüllen. Im Gebet ordnen wir aber unseren Willen dem Willen Gottes unter. Wir lernen, mit Gott und nicht gegen Gott zu beten. Wir bitten, dass sein Reich komme, nicht unseres. Wir bitten, dass sein Wille geschehe, und nicht unserer. Dies sehen wir gerade auch bei Jesus im Garten Gethsemane. Er bittet, dass Gott den Kelch an ihm vorübergehen lassen möge, ergänzt diese Bitte aber sofort mit den Worten „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“. Wir können daher festhalten, dass ein Effekt der Fürbitte die Veränderung unserer eigenen Haltung ist.

„Fürbitte wirkt auch außerhalb des Bittenden. Sie hat die Verheißung, in unsere Zeit einzugreifen und Unmögliches möglich zu machen.“

Zwei Faktoren gehören zusammen

Weiterhin kann und sollte die Fürbitte auch dazu führen, dass wir das tun, was wir tun können. In der Fürbitte für andere entwickeln wir oft Mitgefühl und Anteilnahme für das Leid oder die Probleme anderer. Wir beten nicht immer, weil wir Mitgefühl mit der Not von anderen Menschen haben, sondern damit wir Mitleid bekommen. Das Herz muss hier unserem Verstand folgen. Nicht umgekehrt. Dies kann auch dazu führen, dass wir uns persönlich stärker und bewusster einsetzen. Gebet kann daher auch unsere Einstellung verändern und uns zu einem neuen Handeln ermutigen. 
Es wäre einfach, hier Schluss zu machen, aber die Bibel lädt uns ein, mehr vom Gebet zu erwarten. Jesus selbst sagt: „Bittet, so wird euch gegeben“ und meint damit mehr als nur innere Veränderung beim Beter. Fürbitte wirkt auch außerhalb des Bittenden. Sie hat die Verheißung, in unsere Zeit einzugreifen und Unmögliches möglich zu machen. Aber hier entsteht das Problem. Wie wirkt sich unsere Fürbitte auf die Realität aus? Wie kann es sein, dass unsere Gebete die Ereignisse in unserer Lebenswelt verändern, wenn doch Gott souverän und absolut gut ist? Würde etwas nicht passieren, was Gott will, wenn wir nicht darum bitten? Wir nähern uns hier einem Mysterium, das wir nicht völlig erklären können. Theologen haben schon versucht, verschiedene Erklärungsmodelle zu schaffen, aber meiner Meinung nach weisen sie alle Defizite auf. Doch das bedeutet nicht, dass es nicht funktionieren würde. Etwas beginnt nicht erst dann zu funktionieren, wenn wir es verstehen. Die Schwerkraft begann nicht erst zu wirken, als Newton sie entdeckte. Fürbitte hat etwas Unerklärliches. 

Allerdings können wir mehr darüber sagen, warum wir beten sollen. Und das kann uns wiederum zum Beten ermutigen und uns im Gebet bestärken. Fürbitte ist nämlich auch ein Akt des Bekennens. 

Drei wesentliche Bekenntnisse

In dem Moment, wo wir Fürbitte leisten, bekennen wir drei Dinge: Als Erstes bekennen wir, dass Gott mächtig ist. Er kann uns helfen. Er kann eine hoffnungslose Situation zum Guten wenden. Gott ist stärker als mächtige Menschen, bösartige Strukturen, satanische Mächte, Krankheiten und sogar stärker als der Tod. Gebet bedarf dieses Glaubens. Aber wir bekennen noch mehr. Wir bekennen, dass Gott uns helfen möchte. Gott ist gut und seine Absichten mit uns sind auch gut. Gott kann und will uns helfen. Mit dieser Annahme zu beten, ist ein Akt des Glaubens. Durch die Fürbitte bekennen wir, dass wir überzeugt sind, dass unser kleines Leben Gott nicht egal ist. Und dass unsere Sorgen ihm wichtig sind. Letztlich bekennen wir durch die Fürbitte, dass wir Gott brauchen. Wir bekennen unsere Abhängigkeit. Wir sind das Kind, das seinen guten Vater um Hilfe bittet. Und wie Kinder, die erwachsenen werden, so erkennen wir manchmal auch, dass es gut war, dass uns unsere Eltern nicht alles gegeben haben, worum wir sie gebeten haben. 

Wir kommen oft in dieser Haltung vor Gott, wenn wir an unsere Grenzen stoßen. Wenn wir keine Lösung sehen oder wenn wir zu schwach sind. Aber eigentlich sollten wir in ständiger Abhängigkeit vom Vater leben. Genauso lebte es uns Jesus vor. Er tat alles in Abhängigkeit vom Vater. 
In einer wundersamen und unerklärlichen Weise nimmt Gott uns mit hinein in sein Wirken. Wir sollen uns zusammen mit ihm danach sehnen, dass sein Reich kommt. Dass seine Gerechtigkeit herrscht. Gott bietet uns mit der Fürbitte ein unglaubliches Privileg: Gott hat sich dafür entschieden, unsere Gebete wichtig zu machen und ihnen Bedeutung gegeben.

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