Jetzt bist du dran
Gedanken
Was – falsch betont und gelesen – wie eine Drohung klingt, ist schlicht nur die Umkehr unseres Magazintitels und wirft im Besonderen die Frage nach der Verantwortung auf: wer trägt sie und wer überträgt sie? Hartmut Steeb hat sich des Themas angenommen. Zwar geht er dabei mit seinen Gedanken weit in die Vergangenheit zurück, macht aber gleichzeitig unmissverständlich klar, wie aktuell und bedeutungsschwer sein Befund ist.
„Dafür will ich jetzt aber nicht verantwortlich sein“! So denken sicher viele Menschen immer wieder – und nicht nur in der jüngsten Zeit. Ich selbst bin vor einigen Monaten in den Ruhestand eingetreten und habe dankbar zur Kenntnis genommen, dass ich nun manches nicht mehr verantworten muss: Die Entscheidung, ob in der Deutschen Evangelischen Allianz und im Evangelischen Allianzhaus Kurzarbeit eingeführt wird oder nicht, und in welchem Umfang. Oder, wie die Finanzierung angesichts in die Tausende gehender Ausfälle an Übernachtungen aufrechterhalten werden kann; ob und wie weiter Spenden für die Evangelische Allianz eingeworben werden können und vieles andere mehr. Einige Jahrzehnte gehörte so etwas zu meinen Aufgaben als Generalsekretär. Viele Menschen wünschen sich eine Leitungsaufgabe, wollen entscheiden, aber ob sie auch Verantwortung übernehmen möchten? Viele suchen die Freiheit eigener Lebensgestaltung. Sie wollen selbst bestimmen. Aber ob sie sich auch der damit verbundenen Konsequenzen bewusst sind?
Aus der Perspektive des Gegenteils denken
Wenn man eine schwierige Frage zu beantworten hat, kann es auch sehr hilfreich sein, zunächst mal das Gegenteil zu denken. Also: Wofür sind wir nicht verantwortlich? Dafür, dass ich geboren wurde, kann ich überhaupt nichts. Ich habe mich selbst nicht in das Leben eingewählt. Keiner hat sich selbst gezeugt. Dass ich gerade 1953 geboren wurde und nicht 1903 oder 1853 – oder erst 2003 – dafür bin ich nicht verantwortlich. Und dafür, dass ich in Stuttgart geboren bin, kann ich auch nichts. Meine Gaben habe ich mir nicht selbst ausgesucht und meine genetische Veranlagung nicht im Katalog ausgewählt. Mein Elternhaus, meine Geschwister, die Nachbarschaft und die ersten Freunde – das alles ist mir alles ohne Zutun zugewachsen. Dafür bin ich nicht verantwortlich und dafür kann ich deshalb auch nie zur Rechenschaft gezogen werden. Auch nicht dafür, dass ich bisher in einer einzigartigen Zeit des Friedens, der Freiheit und des Wohlstandes leben durfte. In unserer Zeit des „Selbst“, der Selbstentfaltung, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung bis hin zur Selbstbeweihräucherung ist das eine gute und ernüchternde Erkenntnis: Ganz wichtige wesentliche Grundlagen meines Lebens sind mir einfach zugefallen, mitgegeben, geschenkt worden. Es ist darum an der Zeit, den Mythos der Selbstbestimmung grundlegend zu entmythologisieren.
„Ganz wichtige wesentliche Grundlagen meines Lebens sind mir einfach zugefallen, mitgegeben, geschenkt worden.“
Um Antwort wird gebeten
Die Anzahl der Einladungen zu Empfängen und Festen, die mich in den Jahrzehnten meines Dienstes erreicht haben, kenne ich nicht. Aber vor allem bei festlichen Empfängen, die eine gewisse Exklusivität hatten, stand irgendwo im bekannterweise wichtigen Kleingedruckten: „Um Antwort wird gebeten!“ Wer das Wort der Einladung vernommen hat, möge bitte antworten, wie er damit umzugehen gedenkt. All das, wofür ich nicht verantwortlich bin, das mir aber mitgegeben wurde, ist wie die Einladung ins Leben. Natürlich gilt es, die vorhandenen Gaben zu entfalten. Ein Mensch kann sie antrainieren, wahrnehmen, das Beste draus machen. Am Anfang sorgen die Eltern dafür, manches entfaltet sich von selbst, später wirken Geschwister, Erzieher, Lehrer, Ausbilder daran mit. Das gilt für die kleinsten Kleinigkeiten im Alltag, die Entwicklung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Das ist uns auch selbstverständlich. Aber was ist das Beste, wenn es darum geht, eigene Entscheidungen dann doch selbst zu treffen? Warum tue ich dann, was ich tue? Spätestens dann stellt sich doch die Frage: Was hat der Schöpfer meines Lebens, der Schenker meiner Gaben und Fähigkeiten, sich eigentlich gedacht für das Leben, für den Einsatz der Gaben? Gott selbst, der diese Welt geschaffen hat, hat auch uns Menschen geschaffen. Die biblische Schöpfungsgeschichte erzählt uns davon, dass Gott den Menschen schaffen wollte: „Lasset uns Menschen machen“ (1. Mose 1, 26ff), die ihm gleich sind. Und er hat damit einen Auftrag verbunden: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet …“. Er hat den Menschen geschaffen „zu seinem Bilde“ und ihn auf diese Erde gesetzt, damit er diese Schöpfung „bebaue und bewahre“ (1. Mose 2, 15). Dieser Gotteswille ist eindeutig ausgesprochen.
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Und dieses Wort braucht die Ant-Wort, unsere Reaktion. Das gehört sich so! Freilich: Man muss nicht jede Einladung mit einem „Ja“ beantworten; man darf auch „Nein“ sagen oder sich einfach überhaupt nicht melden. Klar, man ist dann eben nicht mit dabei. Und diese eigene Entscheidung muss man dann eben auch allein ver-ant-worten, vor sich selbst und vor anderen.
In der Verantwortung vor Gott und den Menschen
Nach der großen Menschheitskatastrophe des „Dritten Reiches“ ist uns ein neuer Anfang in unserer Gesellschaft geschenkt worden. Ich bin begeistert dankbar dafür, was uns da möglich geworden ist. Und ich bin sehr dankbar für die Mütter und Väter des Grundgesetzes, die unserer demokratisch-rechtsstaatlichen Gesellschaft im Vorwort eingeprägt haben, dass die Rahmenordnung, unser Grundgesetz, die bewusste „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ zur Grundlage hat. Denn das gehört zur Entscheidungsreife von Menschen, sich bewusst zu machen, dass Freiheit und Verantwortung ein Geschwisterpaar sind, das untrennbar zusammengehört. Darum darf man sagen, dass die nicht selten genutzte Redewendung „Das kann ich vor mir selbst verantworten.“ zwar wohlgemeint sein mag, aber nicht den richtigen Adressaten bezeichnet. Denn nicht „vor mir“ habe ich das zu verantworten, was aus meinem Leben, mit meinen Gaben wird, sondern vor dem Geber der Gaben, vor Gott selbst. Er wird uns fragen, was wir mit den anvertrauten Gütern unseres Lebens getan haben. Und weil er uns nicht alleine ins Leben gestellt hat, sind wir auch dafür verantwortlich, was unser Tun mit dem Leben anderer macht. Das höchste Gebot unseres Lebens ist es, „Gott zu lieben und deinen Nächsten wie dich selbst“ (3. Mose 19, 18; 5. Mose 6, 5; Matthäus 22, 37 – 39). Und darum hat sogar schon der alttestamentliche Prophet Jeremia deutlich gemacht, dass die Verantwortung – selbst in ungünstigen politischen Zeiten – dazu aufruft: „Sucht der Stadt Bestes und betet für sie“ (Jeremia 29, 7).
Der Mensch ist geschaffen als Verantwortungsträger. Gott hat uns seine Schöpfung anvertraut. Und dieser lebendige Gott hat uns ein Wertegerüst gegeben, mit dem wir diese Welt gestalten können und wie diese Welt Gehalt gewinnt. Ich bin davon überzeugt, dass es weltweit kein besseres Wertegerüst gibt als das gute Wort Gottes, das uns klare Orientierungsmarken gibt.
Magazin Sommer 2020
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