Ich achte auf Dich
Plädoyer
Diese Worte als isolierte Aussage müssen nicht automatisch positiv ankommen. Manchen erinnern sie wohl eher an eine unverhohlen ausgesprochene Drohung im Krimi oder Western á la: „Ich hab' dich im Auge, pass auf, was du machst“. Wie sich dieser kleine, kurze Satz in einem anderen Kontext jedoch positiv liest, beschreibt Jürgen Schulz. Dabei folgt er konsequent dem Credo der Überschrift.
Als Pastor einer Gemeinde in der Innenstadt begegne ich täglich der Einsamkeit. Ich sehe unsere Nachbarin, deren Mann seit Jahren die Wohnung nicht mehr verlassen kann. Ich rede mit dem Bekannten am Ende der Straße, dessen engster Begleiter die Bierflasche ist. Ich bete mit Freunden in der Gemeinde, die sich trotz vieler Begegnungen alleine fühlen. Und dann werde ich mit einer Frage überrascht: „Jürgen, warum achtest du eigentlich auf mich?“ Eine gute Frage. Was motiviert mich, auf den Anderen zu achten? Als Christ und Pastor erwarten Menschen doch von mir, dass ich das tue. Aber um ehrlich zu sein: da gibt’s keinen Automatismus mit der Amtseinführung. Wieso achte ich also auf dich, Mensch, selbst wenn du und ich so grundverschieden sind?
Weil Gott uns wertschätzt
Ich achte auf dich, weil Gott uns geschaffen hat und wertschätzt. In 1. Mose 1, 27 lesen wir, dass Gott jeden Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat. Ich achte auf dich, weil du eine Würde besitzt, die nicht von dieser Welt ist. Ich achte auf dich, weil Gott uns Menschen für die Gemeinschaft bestimmt hat. Es ist eben nicht gut, wenn jemand alleine ist. Ich achte auf dich, weil wir nur gemeinsam die Herausforderungen des Lebens meistern können. Ich achte also auf dich, egal ob du Ausländer oder Deutscher bist. Ob du ein Mann oder eine Frau bist oder als was auch immer du dich fühlst. Ob du reich bist oder arm. Ich achte nicht auf dich, weil ich mich danach fühle, sondern weil ich weiß, dass Gott dich und mich wertschätzt.
„Ich achte auf dich, weil die gute Nachricht deine und meine Werte verändert hat. Als Christen unterscheidet sich unsere Moral und Ethik gravierend von Menschen mit anderen Glaubensüberzeugungen.“
Ich achte aber auch auf dich, weil die gute Nachricht mein Leben grundlegend verändert hat. Ich glaube, dass Jesus Christus mich erlöst hat. Ja, ich bin als Ebenbild geschaffen worden, aber seit dem Sündenfall ist diese Welt eben kein Paradies mehr. Jede zerrüttete Familie, jeder Konflikt am Arbeitsplatz und jeder einsame Rückzug hinter den Computerbildschirm bezeugen: wir brauchen Erlösung. Und Gott sei Dank, dass du und ich durch den Glauben an Jesus Christus eine Beziehung mit Gott – und miteinander – haben können. An Jesus zu glauben bedeutet, dass wir in eine Gemeinschaft mit anderen Menschen gestellt worden sind (Eph 2,11 – 22). Ich achte also auch auf dich, weil wir eine Familie sind. Ich achte auf dich, weil du, der du ebenfalls Christ bist, mir näher bist als jeder Mensch, der nicht an Jesus Christus glaubt. Ich achte auf dich, weil nicht mehr ICH, sondern WIR zählen.
Weil wir uns brauchen
Martin Luther bringt es in seiner typischen Direktheit gut auf den Punkt: „Der alte Adam in uns soll ersäuft werden. Nimm dich aber in Acht, das Biest kann schwimmen.“ Ich bin Gott unendlich dankbar für Freunde, die mir helfen, dieses Biest immer wieder neu zu ersäufen. Da ist ein gut befreundetes Ehepaar, Jahrzehnte älter als meine Frau und ich. Und jedes Mal, wenn wir uns treffen, gibt es Gespräche, die ermutigen und herausfordern. Und da wird auch mal Klartext gesprochen.
Ich achte auf dich, weil die gute Nachricht deine und meine Werte verändert hat. Als Christen unterscheidet sich unsere Moral und Ethik gravierend von Menschen mit anderen Glaubensüberzeugungen. Die ersten Christen fielen in der Gesellschaft auf, weil sie das ungeborene Leben schützten. Ihre Fürsorge für die Armen und Witwen überraschte die Menschen ihrer Zeit. Ein Blick ins Neue Testament macht uns aber deutlich: um die Umsetzung dieser Werte musste gerungen werden. Liebschaften außerhalb der Ehe sind nicht zu akzeptieren. Gier und Geiz haben kein Platz unter Christen. Die Gemeinde nur zu besuchen, wenn ich mich danach fühle, ist eine Denkweise, die den christlichen Überzeugungen widerspricht. Ich achte auf dich, weil wir gemeinsam für einen Glauben einstehen – „für dieses unantastbare Gut, das denen, die zu Gottes heiligem Volk gehören, ein- für allemal überbracht worden ist“ (Judas 3). Achtsamkeit gehört im Kern zum Christsein dazu - wie kann ich es dann in die Praxis umsetzen?
Indem ich dich kennenlerne
Für Mazda Adli, Psychiater und Stressforscher, ist Einsamkeit ein Hauptfaktor für Stress und Burnout. Als Stadtbewohner bin ich von Tausenden von Menschen umgeben und kenne die wenigsten von ihnen. Viele Menschen sind gerade deswegen gestresst: Sie sind einsam, inmitten von Menschen. „Ich achte auf dich“ heißt, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Ich achte auf dich, indem ich dich kennen lerne. Ich interessiere mich für deinen Beruf und deinen Stress mit den Kindern. Ich bin nicht der Christus, der sich um alles kümmern kann und muss. Aber in den Zeiten von Smartphone und Social Media geht es im Kern doch erstmal wieder darum, einander tatsächlich kennen zu lernen. Die Gemeinde ist dafür nicht der einzige, aber ein einzigartiger Ort. Hier sind wir schnell beim Vornamen. Hier achte ich auf dich und andere achten auf mich.
Und wenn ich dich kennen lerne, will ich zuhören. Ich unterhalte mich gerne mit Menschen. Mit der Zeit habe ich es mir aber zur Aufgabe gemacht, mehr hinzuhören. Und ohne Zeit geht das nicht. Nur mit der Zeit wird hinter Small Talk und Plattitüden die eigentliche Situation sichtbar. Ich achte auf dich, indem ich dir zuhöre. Da ist ein Freund, der in wenigen Monaten sichtbar zugenommen hat. Das Essen schmeckt halt gut und es gibt viel Grund zur Freude. Doch dann irgendwann kommt der eine Satz: „Ohne Schokolade lässt sich der Stress auf Arbeit kaum aushalten.“ Es hat Zeit gekostet.
Indem ich mit dir rede
Und dann nehme ich mir auch mal den Mut zusammen und rede, obwohl ich lieber schweigen wollte. Aber ich achte auf dich, indem ich rede. Ein Freund sucht Rat in einer schwierigen Lebensphase. Die letzten Jahre waren für ihn sehr herausfordernd. Ich mache Mut. Wir essen zusammen Pizza. Wir diskutieren. Ich gebe Ratschläge für die ein oder andere Situation. Und dann kommt der schwierigste Teil: ich konfrontiere ihn mit seiner Sturheit und seinem Egoismus. Oft hätte ich lieber geschwiegen. Solche Gespräche sind immer schwierig. Aber ich rede, weil ich auf ihn achte. Weil ich meinen Freund wertschätze.
„In Zeiten von Smartphone und Social Media geht es im Kern doch erstmal wieder darum, einander tatsächlich kennen zu lernen. Die Gemeinde ist dafür nicht der einzige, aber ein einzigartiger Ort.“
Reden allein reicht aber nicht. Die Bibel ist da unverblümt direkt: ohne praktische Hilfe ist unsere Aufmerksamkeit wertlos (Jak 2, 14 – 17). „Ich achte auf dich“ heißt auch: Ich helfe dir. Ich helfe dir beim Umzug. Oder ich organisiere ein paar Mittagessen nach der Geburt. Ich passe auf eure Kinder auf, damit ihr mal wieder einen Abend zu zweit habt. Du brauchst ein Auto, ich helfe dir gerne aus. Der Alltag bietet uns unzählige Möglichkeiten. Mach dir keine Sorgen, ich achte auf dich. Weil ich dich wertschätze.
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