Was, wenn Sünde krank macht?

Beim Besuch im Krankenhaus sagt eine Frau mit Nierenproblemen: „Da habe ich wohl wieder zu viel gesündigt, Herr Pfarrer.“ Die kranke Frau deutet ihr Leiden als eine Folge von „Sünde“ gegen Gott, der jetzt eine Strafe über sie verhängt hat. Dann gibt es den lässigen Umgang mit diesem Wort: „Ich habe beim Essen etwas gesündigt, jetzt muss ich es nach dem Blick auf die Waage wieder büßen.“ Oder bei der Besichtigung einer fremden Stadt sagt ein Tourist empört: „Was ist das denn für eine Bausünde!“ Hier wäre Sünde die Verfehlung eines städtebaulichen Zieles.

Das versteht die Bibel unter Sünde

Bei dem biblischen Verständnis geht es auch um Zielverfehlung, aber nicht im Sinne eines Fehlers bei der erstrebten Gewichtsreduzierung. Vielmehr ist mit Sünde gemeint, dass der Mensch als Geschöpf Gottes die Beziehung zu seinem Schöpfer verfehlt. Ohne Gott leben, an Gott vorbei leben. In diesem Sinne meint der Apostel Paulus, dass alle Menschen gleichermaßen Sünder sind. Sünde wird hier als grundsätzlich und existentiell verstanden. Dann verstehen biblische Texte Sünde auch als ein Tun, als ein Abirren vom göttlichen und menschlichen Recht. Man lügt, man betrügt, man versucht, dem anderen zu schaden – und zwar mit Absicht. Männer und Frauen versprechen sich die Treue und halten sich nicht daran. Sie brechen den Vertrag und das geschenkte Vertrauen. Mögliche Folgen für die Beziehung werden kleingeredet oder ignoriert. Hier geht es um die Tatsünden.

Der große Unterschied zwischen Sünde und Fehlern

Tatsünden sind jedoch von Fehlern zu unterscheiden. Sie sind nicht identisch. Der Bruder erinnert sich aus der Kindheit an dies, die Schwester an jenes. Dabei war es die gleiche Situation. So gibt es Erinnerungsfehler. Oder man vergisst beim Bearbeiten eines Formulars, ein Häkchen zu setzen oder übersieht die Angabe des Geburtsdatums. Das sind Fehler, aber keine Sünden. Man kann Fehler deuten als Fehlleistungen in einer begrenzten Welt. Und als begrenzte Geschöpfe machen wir Fehler. Manchmal auch heftige. Wie bei einem Unfall. Da übersieht der Fahrer beim Ausscheren auf die Überholspur das von hinten kommende Fahrzeug. Es gibt einen heftigen Unfall mit Personenschaden. Ein Beobachtungs- und Wahrnehmungsfehler mit schwerwiegenden Folgen für den Unfallgegner. Ist das Sünde? Es ist zuallererst ein Fehler und keine Tatsünde. Solche Fehler können passieren und zeigen schmerzlich, dass wir begrenzt sind und wie sehr wir nicht im Paradies leben, sondern in einer „gefallenen“ Welt. Wichtig ist: Aus Fehlern kann man lernen. Fehler ermöglichen eine Entwicklung. Fehler kann man meist korrigieren. Sünde nicht! Sünde kann man nicht korrigieren, aus Sünde können wir nur erlöst werden. Sünde braucht Vergebung durch Gott. Hier hilft die Beichte: Reue, Bekenntnis der Schuld, Zuspruch der Vergebung, Annahme der Vergebung. Aber dort, wo man immer wieder „in Sünde fällt“, geht es nach der Vergebung ebenso um Veränderung. Zumindest in Situationen der Tatsünden. Wer wiederholt bei der Steuererklärung mit Absicht betrügt – aus biblischer Sicht ist das Sünde, und kein Kavaliersdelikt im Sinne eines leichten Schummelns.

Ja, Sünde macht krank!

In dem bekannten Bußpsalm 32 finden wir in Vers 1 bis 5 die Worte: „Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist! Wohl dem Menschen, dem der HERR die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Trug ist! Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen. Denn deine Hand lag Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. SELA. Darum bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verhehlte ich nicht. Ich sprach: Ich will dem HERRN meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde.“ Die vom Beter David verwendeten Worte zeigen, wie sich Sünde und Schuld auf den Körper auswirken können. Vergebung jedoch macht gesund und schenkt ungeahnte Freude. Von daher kann man sagen: Unvergebene Sünde kann schwer auf einem Menschen lasten und zu einer psychischen oder körperlichen Erkrankung führen.

Hier denke ich an eine Frau, die in jungen Jahren ihr Kind hat abtreiben lassen. Immer wieder grübelt sie darüber, wie sie den Lebensweg dieses Kindes abgebrochen hat und an diesem kleinen Kind in ihrem Bauch schuldig geworden ist. Sie konnte den Schwangerschaftsabbruch nie als ihr Recht im Rahmen ihrer Selbstbestimmung abtun. Sie konnte das zwar allen nahen Menschen gegenüber verheimlichen. Aber ihre Seele blieb bis ins Alter von 58 Jahren schwer belastet. Trotz zweier Kinder, die sie später geboren hatte und deren Mutter sie geworden ist. Immer wieder kamen ihr die Gedanken: „Was wäre aus diesem Kind geworden? Warum habe ich sein junges Leben abgebrochen?“ Inzwischen bildete sie eine handfeste Depression aus. Die Medikamente halfen nicht wirklich. Erst als sie sich entschloss, ihre Schuld zu bekennen und das Geheimnis in der Beichte zu verraten, nahm der Heilungsverlauf einen günstigen Ausgang. Ihre Geschichte spiegelt wider: Schuld und Sünde kann man nicht therapieren, es braucht die Vergebung vor Gott.

Nein, Sünde macht nicht krank!

Sind Krankheit und Behinderung Ausdruck von Sünde? Hier die Stellungnahme von Jesus in Johannes 9,1-3: Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

In dieser Situation geht es nicht um eine Ursache, die bei dem Blindgeborenen selber oder bei seinen Eltern zu suchen wäre. Vielmehr soll Gottes Macht deutlich werden, dass Jesus selbst in dieser aussichtlosen Lage heilend und ändernd eingreifen kann. Wo Jesus ist, ist das Leben. Mit oder ohne Krankheit und selbst dort, wo Krankheit bleibt. Wir sind aus der Angst befreit, jede Krankheit könnte Sünde sein und eine Form göttlicher Strafe. Heißt es doch bei Jesaja: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,5b). Jesaja macht klar: Die Beziehung zu Gott ist geheilt, auch wenn Krankheit noch bleibt, Fehler noch passieren und auch Christen immer wieder sündigen.

Und was hat mich jetzt krank gemacht?

Wie kann man nun das eine vom anderen unterscheiden? Wann ist Krankheit die Folge von Sünde, wann nicht? Letztlich muss dies jeder Betroffene für sich selbst entdecken. In der Regel kann man Krankheit keiner konkreten Sünde zuordnen. Manche Erkältung lässt sich womöglich durch falsche Kleidung erklären. Aber warum dieser oder jener Virus einen Menschen angesteckt hat, lässt sich schwerlich einer eindeutigen Ursache zuordnen. Außer der, dass man irgendwo auf einen infektiösen Menschen gestoßen ist, der einen angesteckt hat. Und genetisch bedingte Erkrankungen, die auf einen Gendefekt zurückgehen, können auch nicht schuldhaft dem Betroffenen angelastet werden.

Aber alle Krankheiten sollen und können den Menschen anregen, nach Gott zu fragen. Was bedeutet es für mich, in dieser oder jener Situation erkrankt zu sein. Was will Gott mir damit sagen?

Wer sich mit der Antwort auf diese Frage schwer tut und unsicher ist, wie er eine konkrete Erkrankung einordnen soll, dem hilft unter Umständen ein Gespräch mit jemandem, der sich auskennt. Seelsorge und christliche Lebensberatung helfen, Sünde, Fehler und Krankheit sorgfältig zu reflektieren. Und immer wieder kommt es auch dazu, dass Sünde, die die Seele drückt, Vergebung findet.