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Ich bin nicht psychisch krank …!

Eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Chronicle Fatigue Syndrom

Ich habe eine lange Reise hinter mir, eine beschwerliche, schmerzhafte, tief enttäuschende Reise zu den Abgründen der eigenen Schwachheit. Wie einem gefällt, was man da entdeckt, spielt keine Rolle. Mir gefällt es nicht.

… Das erste Mal, das ich über längere Zeit Schmerzen hatte, liegt sicher schon 15 Jahre zurück. Aber ich habe mir da keine großen Gedanken drüber gemacht, war sportlich sehr engagiert, hatte beruflich viel damit zu tun und meinte, die Ursache meines Schmerzes hätte sicher eine orthopädische Begründung. Aber es wurde nicht besser, und so lange, dachte ich, kann eine Bizeps-Sehne ja auch nicht brauchen, bis sie ausgeheilt ist …

Was dann anfing, war ein Alptraum. 15 Jahre rannte ich sprichwörtlich von einem Arzt zum nächsten. Ich litt unter unerklärlichen Schmerzen, hatte den Eindruck, dass ich nicht ernstgenommen werde und für viele bald feststand, dass ich psychisch krank bin. Dabei könnte man Symptome des Chronicle Fatigue Syndrom (CFS) durchaus erkennen, wenn man sich ein wenig mit der Krankheit beschäftigt, die übrigens bis heute in Deutschland nicht als Krankheit gilt. Frau Professorin Carmen Scheibenbogen von der Charité in Berlin erklärt es so: „Bei den Betroffenen kommt es typischerweise nach einem Infekt – etwa nach dem Pfeifferschen Drüsenfieber – zu bleibender schwerer Erschöpfung: Bereits leichte Anstrengungen wie das Aufstehen führen zu Abgeschlagenheit und Müdigkeit. Pausen bewirken kaum Erholung. Außerdem treten Konzentrations- und Gedächtnisprobleme auf. Trotz der chronischen Müdigkeit kann es zu Schlafstörungen kommen. Weitere Symptome sind Gelenk-, Muskel- oder Kopfschmerzen, schmerzhafte Lymphknotenschwellung sowie Appetitverlust und diffuser Schwindel. Die Beschwerden dauern über Monate an und können bis zur Invalidität führen.“

… Es war das Schlimmste, dass mich so viele in Therapie schicken wollten. Ich wollte ja auch selbst wissen, was los ist, und habe auch die therapeutische Schiene beschritten. Aber irgendwann war klar: Das ist es nicht! Ich wusste einfach, dass meine Situation eine andere Ursache hat als einen Defekt meiner Seele ...

Weil die Krankheit eine sogenannte „Ausschlussdiagnose“ ist, ist sie auch so schwer zu belegen. Wenn ein Arzt nach allen Untersuchungen und Tests keinen anderen Anhaltspunkt findet, woher das Leiden kommen könnte, darf er die Diagnose Chronicle Fatigue Syndrom stellen, was auf Deutsch auf etwas missverständliche Weise mit chronischem Müdigkeitssyndrom übersetzt wird. Mit einer Müdigkeit, die der normale Mensch so kennt, hat es aber rein nichts zu tun, und es ist auch nicht mit ausreichend Schlaf erledigt.

… Seit ich entschlossen sage, dass ich nicht depressiv bin, stelle ich fest, dass das bei manchen für echte Irritationen sorgt. Als würde ich mir nichts sagen lassen wollen. Das war sehr bitter für mich, hatte ich doch auch gar keine Kraft für diese Auseinandersetzungen. Keine Kraft zum Kämpfen, keine Kraft für Therapien, keine Kraft für gar nichts. Ich lag über zehn Monate mehr oder minder im Bett und war am Ende ...

Das Erleben der von CFS Betroffenen ist genau so. Sie entfremden sich von anderen, weil sie nicht mehr am sogenannten normalen Leben teilnehmen können. Partner und Familie sind im Umgang oft hilflos, weil die Beschwerden zwar genannt, aber nicht nachgewiesen werden können. Immer wieder kommt es zu gut gemeinten Ratschlägen, die in der Regel aus innerer Hilflosigkeit gegeben werden. Und in der Tat ist das Zusammenleben mit chronisch kranken Menschen ein so entsetzlich deutlicher Einschnitt in den Alltag, da kann einem die Hilflosigkeit gar nicht übelgenommen werden. Die größte Not der Betroffenen dabei ist, dass sie eine Krankheit haben, die es offiziell gar nicht gibt.

… Ich war gerade jetzt beim Arzt und beschrieb ihm meine Symptome und hatte die Hoffnung, etwas verschrieben zu bekommen, was diese lindert. Aber nachdem er nichts feststellen konnte, wollte er mir auch nichts verschreiben. Einen anderen hatte ich um eine Kur gebeten.

„Deshalb lassen wir uns von dem, was uns zurzeit so sichtbar bedrängt, nicht ablenken, sondern wir richten unseren Blick auf Gottes neue Welt, auch wenn sie noch unsichtbar ist. Denn das Sichtbare vergeht, doch das Unsichtbare bleibt ewig. 2. Korinther 4,18 “

Nicht, weil ich große Hoffnung auf die Anwendungen hatte, aber weil ich glaubte, die Ruhe würde mir gut tun. Aber da es keinen Befund gibt, gibt’s auch keine Kur. Es ist zum Verzweifeln …

CFS-Erkrankte, und davon schätzt man, dass es in Deutschland gut eine Viertelmillion gibt, können in aller Regel nicht mehr arbeiten, nicht mehr an Vereinsaktivitäten teilnehmen, kaum bis keinen Kontakt zu Freundeskreisen halten. Manche nutzen alle Kraft, die sie noch haben, um sich einen Überblick über die Krankheit zu verschaffen.

… Ich habe mehrere Hundert Websites besucht und gelesen, was die Leute schreiben, wollte Licht ins Dunkel bringen, wollte verstehen, was mit mir los ist, von anderen hören, was die erleben und wissen, ob es Hoffnung gibt. Irgendeine Hoffnung darauf, dass ich nicht noch mal 15 Jahre so leben muss, wie die vergangenen 15 …

Die genauen Entstehungsmechanismen der Erkrankung sind bis heute nicht bekannt. Experten wie Carmen Scheibenbogen gehen aber davon aus, dass es sich um eine Störung ähnlich einer Autoimmunkrankheit handelt, die in der Regel als Folge einer Infektion auftritt. Eine Autoimmunkrankheit liegt vor, wenn das Immunsystem durch eine Fehlsteuerung körpereigenes Gewebe angreift. Demnach veranlassen bestimmte Erreger wie das Epstein Barr Virus (EBV) den Organismus dazu, dauerhaft Krankheitssymptome zu unterhalten.

… Ich habe fast 15 Jahre lang gelitten an etwas, von dem niemand weiß, was man dagegen tun kann. Das Schlimmste in all den Jahren war und ist immer noch das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden, für psychisch krank gehalten zu werden. Und damit abgestempelt zu werden. Denn wenn das mal steht, braucht man auch nach keiner anderen Erklärung mehr zu suchen. Ich bin so froh, dass mein Arbeitgeber, meine Kollegen und einige mir Nahestehende zu mir halten und mich ertragen. Ich bin froh, dass ich an das Zukünftige glauben und darauf hoffen kann. Wenn mein Leben nur das wäre, was ich jetzt und hier habe, dann würde ich aufgeben …

Mit einer speziellen Therapie für Betroffene ist zunächst kaum zu rechnen, da die Ursachen nicht geklärt sind, vielleicht nie geklärt werden können. Zwar gibt es manche Behandlungsansätze, aber die weisen bisher kaum ernstzunehmende Erfolge auf. Dafür aber reichliche Nebenwirkungen, bzw. sind sie in Deutschland gänzlich verboten. Bleibt es also weiterhin ein Wettlauf gegen das Leben, bleibt weiterhin die bleierne Müdigkeit und Kraftlosigkeit, bleibt weiterhin der Generalverdacht, zu simulieren, depressiv, ausgebrannt oder anders psychisch angeschlagen zu sein. Helfen tut das niemandem. Außer denen vielleicht, die gern mit schnellen Antworten zufrieden sind.

… Ich habe geweint und es wurde massig gebetet. Ich habe aufgeben wollen. Ich finde Gott manchmal erschreckend und unverständlich. Ich bin mittendrin, längst nicht am Ziel und kann kaum um die nächste Wegbiegung schauen. Ich kann nur sagen: Herr, wohin sollte ich gehen? Du allein hast Worte des ewigen Lebens. Für mich ist eins klar: Ich habe nur Gott als allerletzte Instanz über meinem Leben …