Du kannst mich mal gernhaben

Essay

Was wie eine rüde Abweisung klingen könnte und manchmal auch so gemeint ist, ist im Kern doch eine wunderschöne Sache: Du kannst mich gernhaben! Das ist überwältigend passend für die Gedanken von Jürgen Schulz, der sich der Kraft und Stärke von Gemeinden über das Beispiel der Ehe nähert. Er kommt zu dem Schluss: Wo Liebe herrscht, ist Halt zu finden.

Verliebte leben im Augenblick. Sie genießen die Zweisamkeit und wollen nirgendwo sonst sein. Wer verliebt ist, verzichtet auf Essen und Schlaf. Verliebt zu sein, ist seltsam schön. Aus manchen Verliebten wird dann beizeiten auch ein Brautpaar. Sie feiern den schönsten Tag im Jahr mit Familie und Freunden. Und niemand will sonst irgendwo sein.

Einzigartig umkämpft

Verliebtsein und Hochzeit sind Momente des Feierns. Beflügelt von Endorphinen,genießen wir jeden Augenblick. Und dieses Glück sei einem jeden gegönnt. Denn wir wissen nur zu gut, dass der Ehealltag, trotz Liebe, herausfordernd ist. Eine Hochzeit markiert den Beginn der Ehe, und das Eheleben unterscheidetsich gravierend von einer Hochzeit. Ehe ist wunderschön und schwierigzugleich. Beziehung ist Freude und Schmerz. Liebe fordert uns heraus. Aber es ist auch die Liebe, die unserem Leben eine unvergleichliche Qualität gibt. Da erblasst das Verliebtsein vor Neid. Die Ehe nimmt in der Bibel einen ganz besonderen Platz ein, um die Beziehung zwischen Gott und der Gemeinde zu erklären: Der Ehebund zwischen einem Mann und einer Frau ist ein Spiegelbild von Gottes Beziehung zu seiner Gemeinde (Epheser 5). Wer ein Ehepaar beobachtet, ist einem Geheimnis auf der Spur. Die Ehe ist heilig. Sie ist einzigartig. Sie ist kostbar. Sie ist aber auch umkämpft, herausfordernd und schmerzhaft.

Die Ehe ist die intimste Form menschlicher Beziehungen. Sie ist ein besonderer Ausdruck einer ganz menschlichen Empfindung: Wir suchen Beziehung. Nur in Gemeinschaft ist der Mensch vollständig, und als Christen sind wir in eine Gemeinschaft hinein erlöst. Wie schwer es auch sein mag: Ohne Beziehungen werden wir nicht leben können. Selbst wenn manche Beziehungen einfach nicht richtig gut werden wollen. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu: Manchmal geht das Miteinandereben nicht besser. Das betrifft auch unsere Beziehungen in der Gemeinde. Als Christinnen und Christen gehören wir zu einer Gemeinde, in guten wie in schlechten Zeiten. Wie können wir aber gemeinsam miteinander Gemeinde leben, wenn wir nicht ineinander verliebt sind?

Wir sind, weil Gott ist

Der erste Brief an die Korinther gibt hier einige verblüffende Antworten. Obwohl die Gemeinde zerstritten ist und die Beziehungen zerrüttet sind, beginnt Paulus den Brief mit den Worten: „Ich danke Gott jederzeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus geschenkt wurde“ (1,4). 

Ehrlich, wenn Streit und Ärger die Atmosphäre prägen, bin ich nicht dankbar. Doch Paulus behält trotz aller lauten Konflikte einen klaren Blick. Er erinnert die Gemeinde, dass sie erlöste Kinder Gottes sind. Die Gnade Gottes hat ihr Leben verändert. Sie sind „Heilige“ (1,2). Sie sind eine Gemeinschaft von Menschen, die zu Jesus Christusgehört (1,9). Wir sind nicht erst dann Kirche und Gemeinde, wenn wir gemeinsam fröhlich feiern. Wir sind Kirche, weil Gott sich zu uns bekennt und wir uns durch Glauben zu ihm. Unsere Identität als Christen begründet sich in Jesus Christus — und nicht in unserer empfundenen Harmonie. Unsere Verbundenheit mit der Gemeinde begründetsich in der Verbundenheit Gottes mit uns — und nicht in unserem Traum von Gemeinde. Dietrich Bonhoeffer wurde Pfarrer in einer Zeit, in der die Kirche sich immer weiter von der Botschaft des Evangeliums abwandte und die große Mehrheit seiner Kollegen mit den Nazis kollaborierte. In dieser Zeit schrieb er den Satz: „Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft, und ob er es persönlich noch so ehrlich, noch so ernsthaft und hingebend meinte.“

„Wir sind nicht erst dann Kirche und Gemeinde, wenn wir gemeinsam fröhlich feiern. Wir sind Kirche, weil Gott sich zu uns bekennt und wir uns durch Glauben zu ihm.“

Rückkehr zum Glauben

Unsere Träume von Kirche läuten nicht selten das Ende der Kirche ein. Ob die Gemeinde unseren Vorstellungen und Träumen entspricht, ist zweitrangig. Kirche ist, weil Gott sie baut. Wir sind Mitgestalter. Die schrumpfenden Kirchen in Deutschland erinnern uns an dieses einfache und doch so wesentliche Bekenntnis: Weil Jesus ist, ist Kirche. Wo wir Gemeinden gründen, schaffen wir Formen für Leben, das Gott zuvor gestiftet hat. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch: Wir könnendie Einheit von Gemeinden nicht selbst schaffen, sie aber zerstören. Nicht wenige verzweifeln gerade deswegen auch an der Kirche. Sie sehen, dass wir Liebe predigen, aber die Schwachen übergehen. Wir verkünden Barmherzigkeit, stehen den Hilflosen aber nicht bei. Wir brauchen auch als Gemeindenimmer wieder die Korrektur und die Rückkehr zu einem Glaubensleben, das dem Bekenntnis entspricht. Paulus schreibt gerade deswegen diesen Brief an die Gemeinde in Korinth. Er weiß, dass Gott in Korinth neues Leben gestiftet hat. Er weiß, dass dieses Leben noch wachsen und reifen muss. Und er weiß, dass Menschen, selbst wenn sie es gut meinen, die Zukunft der Gemeinde ernsthaft bedrohen.

Nirgendwo anders

Die Gemeinde Gottes war schon immer umkämpft und ist es weiterhin. Menschen aus unterschiedlichen Nationalitäten, mit unterschiedlichen kulturellen Gepflogenheiten und unterschiedlichen Persönlichkeiten werden zu Geschwistern. Dass unter diesen Umständen Streit und Konflikte auftreten, erklärt sich von selbst. Streit und Konflikte müssen und dürfen aber das Miteinander nicht dauerhaft bestimmen. Sie bedrohen die Gemeinde und jedes einzelne Gemeindemitglied. Eine Ehe, die ein dauerhafter Kriegsschauplatz ist, wird schließlich ja auch in die Brüche gehen. Als Ursache nennt die Bibel unsere eigenen Einstellungen und Überzeugungen. Streit und Konflikte haben ihren Ursprung im Herzen von uns Menschen (Jakobus 4,1). Unsere innere Haltung ist das Problem. Nur wo wir gemeinsam – und hier reicht die Entscheidung eines Einzelnen nicht aus – aus tiefer Dankbarkeit und Liebe zu Jesus Christus unser Leben gestalten, wird unser Miteinander gelingen.

Als Christ will ich nirgendwo anders sein als in der Gemeinde. Hier sehe ich Gott selbst am Werk. Hier erlebe ich Veränderung. Hier komme ich dem Himmel auf Erden am nächsten. Hier lerne ich, mich selbst nicht, Gott aber umso ernster zu nehmen. Und dass ich, ebenso wie in der Ehe, das Gegenüber gernhaben kann.

Jürgen Schulz, verheiratet mit Lydia und Vater von vier Kindern, ist Rektor des Theologischen Seminars Adelshofen. Er hat eine tiefe Liebe zur Gemeinde, eine Leidenschaft für das Alte Testament, befindet sich mitten in der Promotion und meint: Geht nicht, gibt’s nicht.

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