Die Hand an der Wand
Leitartikel
Nein, keine Sorge, das wird kein DIY-Beitrag, und am Ende geht es um wesentlich mehr als ums Bauen und Befestigen. Wobei der Allegorie hier auch kaum Grenzen gesetzt sind. Detlef Eigenbrodt streift mit uns durch Situationen mit und ohne Halt und Hilfe, greift tief in die Werkzeugkiste und meint schließlich: Jesus ist die Schraube. Na, dann viel Spaß.
Es ist schon eine ganze Zeit her, dass ich an einer ziemlich coolen Aktion für Teenies beteiligt war. Wir haben damals, natürlich ordentlich angemeldet und genehmigt, junge Frauen und Männer mitten in der Stadt von einer Brücke abgeseilt. Manche fanden das extrem klasse, andere eher etwas beängstigend. Anschließend saßen wir zusammen und stellten die Frage: Woran hängst du dein Leben? Denn das war ja das, was wir in den letzten Stunden getan hatten. Das Leben in einem Hüftgurt an eine Kletterausrüstung gehängt und denen vertraut, die für die Sicherung zuständig waren.
Holz liegt im Hof
Einige Jahre später bin ich in Tansania und besuche die Mitarbeiterin eines Projektes für Straßenkinder in ihrem schlichten Haus. Nach Tee und Gespräch bittet sie mich, ob ich ihr nicht ein Regal in der einen Ecke ihres kleinen Zimmers an die Wand montieren könne. Sie würde da so gerne ihren Fernseher draufstellen. Holz läge im Hof. Darauf war ich nicht eingerichtet, schaute mir aber dennoch brav den Holzhaufen an. Dicke, solide Bretter waren das, eher solche, die man in einer Werkstatt als Unterlegmaterial für schweres Gerät nutzt. Wie auch immer, ich wollte helfen, suchte die Dünnsten der Dicken raus, schnitt sie zurecht und fand sogar in unserer Materialkiste ein paar Dübel und Schrauben. Einen Akkubohrer hatten wir auch dabei. Nur leider hat die Wand nicht mitgespielt. Weitestgehend aus Lehmziegeln – und wer weiß, aus was noch allem – gemauert, zerfiel schon der Putz um das erste Loch herum, das ich bohrte, in tausendkleine Brösel. Hier war nichts zu wollen. Schon allein das Regal würde nicht halten, geschweige denn irgendetwas, was man daraufstellen würde. Schade, das tat mir wirklich leid.
Und erst kürzlich stand ich in meinem Haus und wollte zur sportlichen Ertüchtigung einen Halterungsanker für ein TRX Trainingsband an die Wand montieren. Ob die mitgelieferten Metallbolzen und -dübel mein Gewicht beim Training wohl wirklich halten würden? Oder ob ich am Ende nicht verunglückt in der Ecke – oder auf dem Boden – läge, um mir die Wunden zu lecken?
Nun, die Abseilaktion in der Stadt verlief gut, weil Material und menschliche Fähigkeiten zusammenspielten. Das Regal in Tansania hielt nicht, weil die Substanz der Wand nicht stark genug war, und mein TRX-Anker hält mich immer noch aus, weil die Schrauben und Dübel genau richtig waren. Was habe ich gelernt?
Gut überlegen
Zum Ersten doch, dass es immer wieder auch auf externe Faktoren ankommt. Auf die Menschen zum Beispiel, die mich sichern. Darauf, ob sie sich auskennen, ob sie etwas von ihrem Handwerk verstehen, ob sie leichtsinnig oder übertrieben vorsichtig sind, ob ich ihnen vertraue. Ganz ehrlich, ich würde mir gut überlegen, in wessen Hand ich mich bei einer Abseilaktion begeben würde. Und ich würde mich fragen: Kann er – oder sie – mich im Zweifelsfall halten? Dann entdecke ich, dass es auch darauf ankommt, wo ich etwas festmachen will. Ist die Substanz der Wand oder des Bodens stabil, solide und belastbar genug? Niemand kann Freude daran haben, wenn etwas zunächst so aussieht, als ob es halten würde, und dann scheppert es plötzlich und alles ist kaputt. Wand. Regal. Und Fernsehgerät. Und schließlich kommt es auch auf das richtige Material an. Darauf, ob die Schraube, die ich zur Hand habe, für den Zweck geeignet ist, an den ich denke. Ist sie zu dünn oder zu kurz, oder ist sie viel zu groß? Hält sie genug aus, oder kommt sie am Ende hinten irgendwo raus? Manchmal echt nicht so einfach. Ich habe schon einige Meter Zaunlatten mit im Grunde zu kurzen Schrauben verbaut. Erst war alles paletti und sah super aus. Bis das Wetter kam. Sonne, Wind und Regen setzten dem Holz zu, und am Ende hing die eine oder andere meiner schönen Zaunlatten ziemlich schief in der Gegend rum. In diesem Fall nichts, was nicht mit längeren Schrauben zu reparieren gewesen wäre. Wieder eine Lektion. Manchmal muss man(n) eben noch mal ran, weil man meinte, es passe, und es passte doch nicht.
Soweit mal zur externen Dimension der Frage nach sicherem Halt. Und wie siehts mit der inneren aus? Wo kann die Seele festmachen? Wo kann ich mich festhalten, wenn mir der Sturm um die Ohren fegt? Was, wenn ich mich dabei auf schlechtes Gerät oder falsches Material verlasse? Entweder weil ich keine Ahnung oder einfach gerade nichts anderes zur Hand habe?
„Ganz ehrlich, ich würde mir gut überlegen, in wessen Hand ich mich bei einer Abseilaktion begeben würde. Und ich würde mich fragen: Kann er - oder sie – mich im Zweifelsfall halten?“
Ich schaue auf die Auferbauer
Auch hier sind es zunächst wohl die Menschen um mich herum, mit denen ich mich beschäftigen muss. Wer verdient mein Vertrauen, wenn ich zu stürzen drohe und dringend eine Hand brauche, die mich hält? So wie auf glatter Straße, nur viel, viel schlimmer? Nach wem strecke ich mich aus, von wem hänge ich ab? Ich habe die Tiefe dieser Frage erfahren müssen in Momenten, als sich meine Gegenüber als durchaus unzuverlässig erwiesen. Und nicht nur, dass sie passiv unzuverlässig gewesen wären, sie waren auch aktiv destruktiv und bereit, kaputt zu machen. Nun, das ist ihre Verantwortung, ich schaue heute lieber woanders hin. Auf die Menschen nämlich, die anders sind. Meine Frau. Meine (ähm, also ich meine natürlich „unsere“) Kinder. Kolleginnen und Kollegen in diversen Projekten, die so unglaublich wertschätzend sind. Freunde und Freundinnen beim Sport, im Kloster oder in der Nachbarschaft. Menschen, denen ich jederzeit das Sicherungsseil bei meiner Kletteraktion durchs Leben überlassenwürde. Weil ich gelernt habe, dass ich ihnen vertrauen kann. Weil ich weiß, was uns verbindet. Weil wir miteinander reden und schweigen. Weil wir gemeinsam atmen. Und nur um das richtig zu kriegen: Ich spreche hier nicht von Menschen, die mich unreflektiert toll finden. Ich spreche von denen, die mich lieb genug haben, mir auch Dinge zu sagen, die ich liebernicht hören will. Dinge, die ich aber hören muss. Ich habe mich schon vor langer Zeit entschieden, mich nicht zu sehr mit den Kaputtmachern zu beschäftigen, sondern mit den Auferbauern. Freunde und Familie, die mir guttun und Halt geben!
Stark und tragfähig
Neben denen, die mich aufrichtig begleiten und mit denen ich im Leben unterwegs bin, musste ich mich auch mit meiner Wand beschäftigen. Ich musste die Frage stellen, wie stark und tragfähig die Substanz ist. Wenn ich mich traue, mich irgendwo festzumachen, wird das gut gehen, tragen und halten? Wie sicher ist die Wand, an der ich andocken möchte? Was weiß ich über sie? Wer hat sie wann gebaut? Aus welchem Material und mit welcher Sorgfalt? Gab es Wetter- oder Bauschäden, die mit bloßem Auge nicht sichtbar, aber doch entscheidend wichtig sind? Verspricht die Wand mehr, als sie halten kann? Meine Antwort auf all das ist weder blauäugig noch entbehrt sie der Erfahrung einschneidender Erlebnisse und großer Krisen – und sie ist eindeutig.
Bleibt noch, nach den Dübeln und Schrauben zu schauen. Welche Größe, Dicke und Länge? Welche Tragkraft und Lebensdauer? Das, was ich will, muss halten. Mich halten. Mich aushalten. Da kann ich nicht einfach auf irgendwas zurückgreifen, das muss schon vernünftig sein. Und sich gut anfühlen. Ratio und Emotion gehen hier Hand in Hand. Dabei ist ja klar, dass ich ein Poster nicht mit 6 x 300 mm Tellerkopftorxschrauben anbringe, weil im Grunde eine Reißzwecke genügt. Und im Gegenzug nutze ich keinen Dachpappenstift, wo ich einen Schwerlastdübel-BolzenankerM8 x 75 nötig habe. Es kommt eben wirklich drauf an, und zu viel kann auch zu viel sein.
Will ich das übertragen, entsteht ein interessantes Bild. Ich sag mal so: Gott ist meine Wand, sein Geist der Dübel und Jesus ist die Schraube. Die Wand steht und hält unerschütterlich, der Dübel ist auf das Material der Wand ebenso abgestimmt wie auf das Maß der Schraube, da passt einfach eins zum anderen und garantiert in der konsequenten Kombination den besten Halt. Was will ich mehr?
Detlef Eigenbrodt, M.A., Leiter einer eigenen Agentur für Kommunikationsberatung und Redaktionsleiter dieses Magazins, träumt von einer eigenen Wohnung in Südafrika und freut sich bis zur Erfüllung an den herrlichen Plätzen in Deutschland. Der Ehemann und Vater von vier erwachsenen Kindern sitzt super gern in der Sonne seines Gartens am Rande des Odenwalds und stellt sich der Herausforderung des Alltags. myjabulani.com
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