Bis ich Ruhe finde
Ratgeber
Wer sich auf die Suche nach sich selbst begibt, findet nicht nur schöne Seiten seines Seins. Eva Dittmann meint, das sei richtig so und nötig. Ohne auf das zu schauen, was man lieber ignoriert, kommt man nicht voran. Ohne aufzuhellen, was man lieber ausblenden will, bleibt Ruhe eine Illusion. Gehen wir also ein paar Schritte mit ihr und hören ihr zu.
Kennen Sie eigentlich das Wort „Selbst-Erfroschung“? (Und nein, das ist kein Rechtschreibfehler!)
Ich bin beim Lesen des Buches „Der Buchspazierer“ auf diesen Begriff gestoßen. Als großer Freund von Neologismen und Wortspielen musste ich bei der vom Autor Carsten Henn vorgelegten Definition gleich ein wenig schmunzeln: „Selbst-Erfroschung bezeichnet den Weg zur Erkenntnis darüber, was den innersten Kern eines Selbst ausmacht.“ Der Begriff nimmt dabei Bezug auf das Grimm’sche Märchen „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“. Hinter dem Konzept steht die Hypothese, dass jeder in seinem Innersten einen Frosch trägt, den er (durch Liebe) in einen Prinzen verwandeln muss.
Sehnsucht
Auf den ersten Blick klingt diese Idee vielleicht etwas albern, aber bei näherem Hinsehen erscheint sie doch nicht so weit hergeholt, oder? Haben wir nicht alle irgendwie einen Frosch in unserem Inneren, den wir wahrnehmen und um den wir uns kümmern müssen? Tief in uns sitzt eine Sehnsucht, ein heftiges Verlangen – eine Sehnsucht nach Liebe, nach wahrer, intimer Gemeinschaft, nach Sinn und Bedeutung im Leben, nach einer fest verankerten Identität. Leider können wir diese Sehnsucht oft gar nicht recht erfassen. Meist äußert sie sich nur in einer Art innerer Unruhe, in einem Gefühl von Leere und Haltlosigkeit oder in einer allumfassenden Rastlosigkeit.
Ernüchterung
Entschlossen, uns von diesem an uns nagenden Gefühl zu befreien, stürzen wir uns in verschiedene Bewältigungs- und Erfüllungsmechanismen. Wir hängen uns dabei an Menschen oder Dinge, die diesen Herzenszustand beseitigen oder zumindest übertünchen sollen. Dabei setzen wir unsere Hoffnung auf Realitäten innerhalb dieser geschaffenen Welt, die uns niemals langfristig und allumfassend erlösen können. Egal, was wir tun, egal, wohin wir uns wenden, zurück bleibt immer ein Hauch von Enttäuschung und Ernüchterung. Denn es gibt nichts – absolut gar nichts (!) – in dieser Welt, das gut genug wäre, das stark genug wäre, das ruhig genug wäre, um diese tiefe Sehnsucht stillen zu können.
Suche
Auch der Kirchenvater Augustinus kannte diese innere Unruhe. In seiner autobiographischen Schrift „Bekenntnisse“ (lat. Confessiones) beschreibt er seinen eigenen Seelenzustand vor seiner Bekehrung: „Ich war immer in Aufruhr, stöhnte, weinte, war in Aufregung und fand weder Frieden noch Rat. Ein zerrissenes, blutendes Herz trug ich in mir, das nicht ruhen wollte in mir, und nirgends fand ich doch eine Stätte, da ich es hätte in Ruhe betten können.“ Nach endlosem Suchen und langem Ringenkommt Augustinus schließlich zu der Erkenntnis, dass nur Gott selbst diese innere Sehnsucht stillen kann. Seinebekannte Schlussfolgerung hallt auch heute noch in vielen Herzen nach: „Denn du hast uns auf dich hin geschaffen, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“
„Leider können wir diese Sehnsucht oft gar nicht recht erfassen. Meist äußert sie sich nur in einer Art innerer Unruhe, in einem Gefühl von Leere und Haltlosigkeit oder in einer allumfassenden Rastlosigkeit.“
Denkfabrik
Wenn wir diesen Gedankengang aus geistlich-theologischer Perspektive zu Ende führen, wird schnell klar, dass jeder Versuch, diese innere Unruhe selbst zu stillen – auf welchem Wege auch immer –, letzten Endes nichts anderes als Götzendienst ist. Denn wir setzen Hoffnung auf Erlösung in etwas Geschaffenes und ignorieren dabei den Schöpfer. Wir setzen das Geschaffene über den Schöpfer.
Das menschliche Herz ist dabei im Grunde wie eine Fabrik, in der Götzen am Fließband produziert werden – und ehrlich gesagt wird es oft sehr kreativ, um auf die empfundenen Bedürfnisse einzugehen. In seinem Buch „Es ist nicht alles Gott, was glänzt“ unterscheidet Timothy Keller dazu zwischen tief im Herzen sitzenden Götzen und etwas greifbareren, an der Oberfläche erscheinenden Götzen, die wir anbeten. Zu den tiefsitzenden Götzen zählen seiner Meinung nach Macht, Anerkennung, Komfort und Kontrolle. In der eigenen Herzensanalyse müssten wir dabei vor allen Dingen nach diesen Götzen Ausschau halten.
Götzen
Denn die oberflächlichen Götzen sind meist nur ein Ventil für die tiefsitzenden Götzen, durch die wir diese Erfüllung suchen. So kann beispielsweise der weit verbreitete Götze Geld von ganz unterschiedlichen Herzensgötzen motiviert sein: Geld kann ein Weg sein, um Macht zu erlangen oder aufrechtzuerhalten; mit Geld kann man sich Anerkennung oder einen bestimmten gesellschaftlichen Statuserkaufen; durch Geld kann man ein gewisses Level an Kontrolle und Sicherheit im eigenen Leben erreichen; und Geld kann zu einem Hilfsmittel für die Erhaltung eines gewissenLebensstandards von Komfort und Selbstverwirklichung werden. Der sichtbare Götze ist jeweils der gleiche, aber die Herzensmotivation ist grundverschieden.
Sehnsuchtsschrei
Wer nun Götzen aus seinem Leben beseitigen möchte, muss sich auf der Herzensebene damit beschäftigen. Es reicht keineswegs, einfach die oberflächlichen Götzen zu eliminieren. Denn entweder reicht unsere eigene (Willens-)Kraft nicht aus und der gleiche Götze blüht nach kurzer Zeit wieder in unserem Leben auf; oder der Herzensgötze sucht sich ein neues Ventil, um die eigenen Bedürfnisse zu stillen. Denn Götzen können nicht einfach entfernt werden – sie müssen immer ersetzt werden. Hier müssen wir lernen, unsere Herzen richtig zu lesen. Denn der einzigeWeg, diesem selbstzerstörerischen und das Herz immer wieder enttäuschenden Teufelskreis des Götzendienstes zu entfliehen, ist es, unser Herz auf den auszurichten, zu dem hin wir geschaffen wurden. Wer sich eingesteht, dass nichts in dieser Welt diesen Sehnsuchtsschrei des Herzens erfüllen kann, und sich dann an seinen Schöpfer wendet, ja, wer den eigenen Herzensgötzen entwurzeltund an seine Stelle die Liebe Christi sät, wird im Leben aufblühen und tiefe Ruhe finden.
Eva Dittmann, PhD (Wheaton College), ist Dozentin für Altes und Neues Testament am Theologischen Seminar Rheinland, liebt Herausforderungen und ist gerne mit ihrem Hund Pablo unterwegs.
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