Die nicht begehrte Schönheit Gottes
Standpunkt
Da ist er zu weit gegangen. Eben noch gefeierter König und Feldherr, jetzt Ehebrecher, Intrigant und Mörder. Ob er meinte, das ließe sich galant unter den höfischen Teppich kehren? Er hätte es besser wissen können. Er hätte es sogar besser wissen müssen! Bei all seiner Erfahrung hat David sich dennoch falsch entschieden, und das gleich mehrmals. Deswegen wird er zur Rechenschaft gezogen. Sein Fazit aber verwundert zunächst. Von Eva Dittmann.
„An dir allein habe ich gesündigt“? Das ist doch nicht sein Ernst, oder? Was für eine Unverschämtheit! Nach allem, was dieser Typ sich geleistet hat, wie kann er denn so etwas behaupten? Dies sind die Worte eines Mannes, der in seiner zügellosen Lust nicht einmal vor der Frau eines treuen Untergebenen zurückschreckt. Dies sind die Worte eines Königs, der in seiner berechnenden Arroganz seine Macht missbraucht, um diesen Skandal zu vertuschen. Dies sind die Worte eines geistlichen Leiters, der in seiner moralischen Abgestumpftheit die Ermordung eines Unschuldigen anordnet, um sich seines Problems zu entledigen. Wie kann David inmitten dieser von seinem Unrecht durchzogenen und so viel Leid verursachenden Situation betonen, er habe nur an Gott gesündigt? Hat er etwa die verheerenden Konsequenzen seiner skrupellosen Entscheidungen vergessen? Oder spielt er sie gar herunter? Was ist denn mit der durch seine Begierde zerrütteten Ehe, mit der durch seinen Mord trauernden Witwe, mit dem durch seine Intrigen ermordeten Ehemann und mit dem durch seine Schuld verstorbenen Kind – von seiner geistlichen Vorbildfunktion im Bundesvolk ganz zu schweigen? Hat er nicht auch an all diesen gesündigt? An Batseba, an Uria, am todgeweihten Kind, am Auftragsmörder Joab und am Volk als Ganzen?
Er hat‘s verstanden
In der Tat: Viele Menschen stolpern über diesen Vers in Psalm 51. In diesem bekannten Bußgebet fleht König David seinen Gott um die Vergebung seiner Sünden an, nachdem Nathan diese auf so prophetische und überführende Weise aufgedeckt und Gottes Urteil darüber verkündigt hatte, nachzulesen in 2. Samuel 12. Doch so berechtigt unsere Empörung über diese Aussage Davids auf den ersten Blick auch sein mag, es wäre doch eine Fehlinterpretation, David so zu verurteilen. Denn David kennt die gemeinschaftszerstörende Wirkung und die unvermeidbaren Nachwehen seiner Schuld sehr wohl. Und so ist seine geistliche, auf Gott ausgerichtete Verarbeitung seiner zwischenmenschlichen Verfehlungen keineswegs auf eine Bagatellisierung seines Handelns oder eine Missachtung der Geschädigten zurückzuführen. Ganz im Gegenteil! Seine Wahrnehmung der vertikalen Dimension seiner Übertretungen zeigt, dass er das Wesen und die Ernsthaftigkeit der Sünde verstanden hat. Es geht ihm also nicht um eine Minimierung seiner Fehltritte und ihrer Konsequenzen auf der horizontalen, also zwischenmenschlichen Ebene, sondern um die Maximierung seines Angriffs auf Gott selbst auf der vertikalen Ebene. In diesem Sinne macht dieser für uns so empörende Verweis auf seine Sünde gegen Gott allein seine Verfehlungen nicht weniger schrecklich, sondern umso schrecklicher.
„Wo Menschen nach ihren eigenen Vorstellungen leben, ist kein wahres Gedeihen mehr möglich. Da bleiben nur gebrochene Beziehungen – zu Gott, zu sich selbst, zum Nächsten und zur Welt.“
Im Kern erklärt
Wer Sünde auf ihre zwischenmenschliche Ebene reduziert und sie lediglich als Fehlverhalten gegenüber anderen beschreibt, hat ihren theologischen Kern missachtet und nimmt so die geistliche Dimension der Sünde nicht mehr wahr. Ja, aus biblischer Sicht greift ein solches Sündenverständnis einfach zu kurz. Denn hier wird Sünde immer in erster Linie theologisch beschrieben. Sie ist ein Angriff auf Gott und drückt unsere Rebellion gegen seine Herrschaft aus. Sie ist also von ihrem Wesen her auf Gott zentriert. Die zwischenmenschlichen Auswirkungen dieser Rebellion sind dabei wie ein Erdbeben, unsere dahinterliegende Herzenshaltung gegenüber Gott ist wie die alles auslösende tektonische Verschiebung.
John Piper drückt diese Gotteszentriertheit der Sünde folgendermaßen aus (in Übersetzung): „Was ist Sünde? Sie ist die nicht respektierte Herrlichkeit Gottes. Die nicht verehrte Heiligkeit Gottes. Die nicht bewunderte Größe Gottes. Die nicht gelobte Macht Gottes. Die nicht gesuchte Wahrheit Gottes. Die nicht beachtete Weisheit Gottes. Die nicht begehrte Schönheit Gottes. Die nicht gewürdigte Güte Gottes. Die nicht angenommene Treue Gottes. Die nicht befolgten Gebote Gottes. Die nicht anerkannte Gerechtigkeit Gottes. Die nicht gefürchtete Wut Gottes. Die nicht geschätzte Gnade Gottes. Die nicht anerkannte Gegenwart Gottes. Die nicht geliebte Person Gottes. Das ist Sünde.“
Richtig angewandt
Sünde ist Sünde, weil sie gegen Gott gerichtet ist. Das betont auch der Psalmist selbst durch die Auswahl der theologisch vielschichtigen Begriffe zur Beschreibung seiner Fehltritte. Mit dem hebräischen Begriff pešaʿ beschreibt David seine bewusste Auflehnung gegen Gott und die Missachtung seines Willens. Mit dem Begriff ḥaṭāʾt macht er deutlich, dass er dem Anspruch Gottes nicht gerecht geworden ist und das Ziel verfehlt hat. Und mit dem Begriff ʿāwôn bezieht er sich auf die mutwillige Verdrehung der perfekten Ordnung Gottes und auf die Verzerrung seiner Realität und Wahrheit. Bei einer solchen Bestandsaufnahme ist es nicht verwunderlich, dass auch der Prophet Nathan ihn zuallererst auf seine Gottesbeziehung anspricht: „Warum hast du denn das Wort des Herrn verachtet?“ (2. Samuel 12,9). Ja, David hat sich gegen Gottes Wort, seine lebensschenkenden Bundesvorschriften und seine wunderbaren Absichten für die Menschen gerichtet und dabei viel Schaden angerichtet. Denn wo Menschen nach ihren eigenen Vorstellungen leben, ist kein wahres Gedeihen mehr möglich. Da bleiben nur gebrochene Beziehungen – zu Gott, zu sich selbst, zum Nächsten und zur Welt.
Doppelpunkt der Gnade
Und so ist es doch genau dieser eine Satz „an dir allein habe ich gesündigt“, der für uns eine wichtige Lektion bereithält. Denn dieser Ausdruck beschreibt eine so essenzielle Facette wahrer Buße, die wir gerne in unseren Gebeten übergehen. Neben der Selbstprüfung, dem Sündenbekenntnis vor Gott (und der Beichte vor anderen), dem Empfang der Vergebung, der erneuerten Hingabe, der aktiven Sündenbeseitigung und der Freude über Gottes Gnade gehört doch das Wahrnehmen der theologischen Ernsthaftigkeit unserer Sünde zu jedem Bußgeschehen dazu. In all unserer kulturellen Abgestumpftheit müssen wir uns der Unermesslichkeit unserer Sünde wieder bewusst werden. Wir müssen wirklich verstehen, dass wir gegen Gott, den Schöpfer, rebelliert haben – mit allen Konsequenzen. Und wir müssen lernen, diese Vergehen aus der Sicht Gottes wahrzunehmen – voll Trauer und Zorn. Schließlich haben sie seinen Sohn das Leben gekostet. Ja, letzten Endes führt uns ein solches „göttliche Bereuen“, wie David es uns veranschaulicht, ans Kreuz selbst. Denn dort steht nach dieser theologischen Sündenerkenntnis der Doppelpunkt der Gnade. Hier finden wir wahre Vergebung und Veränderung. Und hier stellt Gott den wahren Schalom wieder her – das ganzheitliche Gedeihen und Wohlgefallen in unseren Beziehungen zu Gott, zu uns selbst, zum Nächsten und zur Welt.
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