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Ich wähle Dankbarkeit

Interview

Sie ist aus der Szene nicht wegzudenken, auch wenn sie nicht immer in der ersten Reihe tanzt. Vielfältig begabt, leidenschaftlich, ehrlich und ungeschminkt, mit Wärme, Humor und einer großartigen Stimme bietet Anja Lehmann dem Leben die Stirn – und hat bei voller Betroffenheit auch in Corona-Zeiten nicht das Lachen, Träumen und Hoffen verloren. Das Gespräch führte Detlef Eigenbrodt.

Anja, wann hast du noch mal angefangen Musik zu machen und warum? The Voice Kids war da ja noch nicht …
Bei uns daheim war es normal, gemeinsam zu singen und auch das mehrstimmige Singen wurde uns beigebracht. Meine Mutter spielte Klavier und Gitarre und begleitete uns. Mein Vater arbeitete für ein Missionswerk, welches auch ein Plattenlabel betrieb – für Kinderproduktionen waren die Kinder der Mitarbeiter (also auch wir) dann einfach mit einbezogen. Dadurch war es was ganz Natürliches, zu singen, im Studio zu sein, bei Veranstaltungen oder in Gottesdiensten aufzutreten.

Fandest du das cool?
Klar, das hat mega Spaß gemacht. Aber ich hatte mich früher auch geniert, vor Leuten zu stehen - oder so sichtbar und hörbar ausgestellt zu sein. Das ist heute noch manchmal so - ich brauchte sehr lange, bis ich eine gewisse Handbremse lösen konnte. Heute sehe ich das aber  als große Chance und sogar als noch größere Verantwortung. Dass einem jemand zuhört, ist viel wert, wenn man den Umstand nutzt, um positiv zu prägen. Umgekehrt können Eitelkeiten, Gerangel und Eifersucht, die Angst, zu kurz zu kommen oder das Vergleichen einen richtig krank machen und auch diese Hammer Gabe der Musik nicht nur entwerten, sondern schäbig pervertieren. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht des großen Kunst-Schaffenden und Gebers dieser Gabe.

Da sprichst du ein großes Thema an, das vermutlich vielen Künstlern zu schaffen macht …
Ich weiß nicht, wie gerne sich der Einzelne das eingesteht. Eifersucht oder Neid sind nicht salonfähig. Das gesteht sich keiner so gern ein. Aber sie nagen überall. Und wenn man das nicht ernst nimmt, kann man sie nicht packen und rausschmeißen - und dann schaden sie einfach nur UNS - und unserer Kunst. Dem anderen ja nicht so sehr. Also ist da Ehrlichkeit mit sich selbst gefragt. Ein Motivations-Check. Nicht mal unbedingt aus frommen Gründen (weil das geistlicher wäre), sondern für UNS - für unser Wohlbefinden und unsere Authentizität. Gerade im christlichen Bereich würde auch keiner „offensichtlich“ die große Karriere anstreben. Versteh mich richtig: Das wäre gar nicht verwerflich. Ich würde sagen: Nutze, was du hast, mach so viel wie möglich draus, wuchere mit deinen Gaben - ich beneide die Leute, die einfach wissen, wie. 

Das erfordert Größe … 
…ja, aber da wäre Zurückhaltung die falsche Wahl und hätte auch nichts mit Demut zu tun. „Tut nichts um eitler Ehre willen“…. Da kann jeder dem anderen nur vor die Stirn schauen. Da sind wir alle gefordert, zu wissen und zu entscheiden, was das im Einzelnen für uns heißt. Am Ende geht’s dann eben nicht um uns - und nicht um das, was wir vermeintlich zu bieten haben. Schmerzhaft und enorm erleichternd zugleich.

Du hast ja musikalisch nun schon einiges auf den Weg gebracht, Anja, an welche Produktion erinnerst du dich am liebsten zurück? Welche war die für dich bewegendste?
Tatsächlich wohl die, an der ich gerade arbeite. Aber ich kann das nicht so festlegen, weil jede Produktion bisher einer Geschichte entsprang und für mich persönlich auch Geschichte geschrieben hat. Mit jeder Produktion kamen Erfahrungen, neu Gelerntes, Niederlagen dazu - alles (wie im Leben halt), was mich letztlich geprägt und bis hierher gebracht hat.

Erzähl mal von der Platte, an der du gerade arbeitest. Warum kommt die jetzt, genau zu diesem Zeitpunkt?
Die Entscheidung für das neue Album fiel schon vor Ausbruch der Pandemie. Die Tatsachen, dass mein Mann gerade arbeitslos war und mir durch das Auftrittsverbot so viele Jobs gestrichen wurden, machten das Timing, was den zeitlichen Aufwand und die Kinderbetreuung unterdessen betraf, sogar ziemlich ideal. Die Anfrage kam seitens des Verlags - und traf mich in einer Phase des Lebens, in der ich es wichtig fand, „trotzdem“ zu schreiben, zu singen - und das Ganze noch mit einer Art Dokumentation zu verbinden. Wieder wird hier die eigene Geschichte Hintergrund für die Lieder sein. Natürlich wurden die finanziellen Probleme dadurch nicht gelöst. Das war hart. Ich schaue auf das vergangene Jahr zurück, und habe den Eindruck, dass ich wie bekloppt gearbeitet habe. Einfach nur ohne Verdienst. Ich weiß ja, so darf man nicht rechnen, wenn man davon ausgeht, dass das, was man tut, auch andere Konsequenzen nach sich zieht als nur die Möglichkeit, Miete und Rechnungen bezahlen zu können…

… Aber das muss ja auch irgendwie geschafft werden …
Ja, muss es. Aber zunächst möchte ich bleibende Werte schaffen. Das tue ich als Mama und als Musikerin, beziehungsweise als Anja - in all den Bereichen, in die ich hineinwirke. Der Wert meines Schaffens liegt nicht in dem, was ich daran verdiene (obwohl ich finde, dass das wesentlich mehr sein sollte und müsste!). Also werde ich, wenn es irgendwie geht, die Arbeit nicht einstellen, nur weil sie nicht lukrativ ist. Gott sei Dank kam in diesem Fall die praktische und materielle Versorgung von allen möglichen Seiten, so dass ich nur staunen konnte. Anscheinend hat mein Hauptauftraggeber nie vorgehabt, sich lumpen zu lassen, wenn es um mein Wohlergehen und das meiner Kinder geht!

Du machst ja einiges im musikalischen Bereich: Studio, Konzerte, Vocal-Coaching, Unterricht. Gibt’s da für dich nen absoluten Favoriten drunter, deinen echten Liebling?
(Lacht) Ich fühle mich gerade so, wie wenn meine Kinder mich fragen: Mama, was ist deine Lieblingsfarbe? Ich sage dann immer: Es kommt darauf an, ob in der Natur, als Wandfarbe oder bei Kleidung - da wird es jeweils eine andere sein - und ich weiß dann auch immer genau warum - aber ich kann nicht generell eine Farbe festlegen. Also: ich liebe es, zu coachen, ich liebe es, im Studio kreativ zu sein - ich liebe aber auch immer mal wieder, einfach „Aufträge auszuführen“ und schnell und effizient zu sein. Live mit Leuten in Beziehung zu treten und live zu singen - das ist auch was ganz Besonderes - was zur Zeit von vielen Künstlern schmerzlich vermisst wird. Dabei geht es dann übrigens nicht um das Fehlen von Beifall. Es geht vielmehr darum, spontane direkte Reaktionen zu bekommen auf das Teilen seiner selbst als Person. Man gibt etwas von sich - und durch Aktion und Reaktion entsteht eine Wechselwirkung, die zutiefst menschlich und göttlich zugleich ist … Es entstehen Momente der Wärme, Identifikation, Provokation, gemeinsam etwas auszuhalten und gemeinsam zu feiern … so Vieles, was sich gar nicht in Worte fassen lässt.

„Ich möchte zunächst bleibende Werte schaffen. Das tue ich als Mama und als Musikerin, beziehungsweise als Anja - in all den Bereichen, in die ich hineinwirke.“

Anja, du hast es schon angedeutet, du bist nicht nur Musikerin, sondern auch Mutter – wie schwer ist das unter einen Hut zu bringen?
Hm. Das kam natürlich in den vergangenen Jahren auch jeweils auf die berufliche Situation meines Mannes an. Und auf das Alter der Kinder, ihre Entwicklung, Krankheit oder Gesundheit, das familiäre Umfeld. Mir fiel es immer schwer - und tut es nach wie vor – von den Kindern weg zu sein. Ich hatte auch relativ lange gestillt und einiges so managen können, dass ich die Kinder mitnahm, wo es ging. Manchmal musste ich wählen oder reduzieren. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich bin eine Maschine und arbeite nur noch. Dass zwischen Kindern und Job keine Pausen sind. Reisen mit Kindern ist außerdem immer eine andere Hausnummer. Für einen Job packe ich meine sieben Sachen und mach mich auf die Socken - hol mir unterwegs einen Kaffee und schlafe nachts durch. Mit Kindern manage ich einen halben Umzug mit zig Wechselklamotten und Kram für alle Fälle, extra Essen, abgestimmte Unterkünfte, Nannys, Tanten oder am besten Papi. Ich versorge die Kinder auf
der Fahrt, wickle noch schnell, komme bereits ziemlich k.o. am Arbeitsplatz an. Jede Pause dient dann zum Füttern, Klären, Trösten oder einfach da sein. Es ist eine Phase. Es wird anders, wenn sie größer werden. Aber dann kommt die Schulzeit (das steht jetzt bald an), da muss man sich dann unter anderem an die Ferienzeiten halten. Manchmal erzählen mir Kollegen: Jaja, ich weiß, wie das ist mit Kids und Arbeit und so. Ich krieg dann meistens die Krise und denke: Nein, du Honk, das weißt du nicht. Du hast ne ‚Mama‘ zu Hause, die sich um alles kümmert, wenn du gehst. Du packst nur für dich. Und wenn du heimkommst, musst du nicht als Erstes Dreckwäsche sortieren, waschen, Fläschchen ausspülen und knallmüde Kinder ins Bett stecken. Es gibt Ausnahmen. Ich kenne wenige. 

Bist du denn zurzeit auch viel unterwegs, oder hat sich nicht seit März 2020 auch dein Arbeitsleben deutlich verändert?
Doch, klar. Als Selbstständige mache ich sowieso und nach wie vor viel von zu Hause aus. Da ist mein Büro. Zunächst fielen aber plötzlich auch meine Bürozeiten weg, da die Kinder ein halbes Jahr nicht mehr in den Kindergarten gingen. Da muss man sich als Elternpaar gut absprechen, damit das Mindeste an Arbeit noch möglich ist. Natürlich sind die Bürozeiten unbezahlt. Geld fließt dann, wenn wir live und in Farbe irgendwo auftauchen. Das ist während der Pandemie fast nur noch in Studios möglich. Keine Konzerte, keine Chöre, kein Coachen, keine Seminare - all solche Jobs fielen auf einmal weg. So wie man das eben von allen anderen beruflich Betroffenen in den (sozialen) Medien hört und liest. Es ist tatsächlich so beknackt wie es scheint… Von daher: Ja, mein Arbeitsleben hatte sich zunächst verändert.

Themenwechsel: Wer wäre eigentlich dein „international male Artist“, mit dem du gerne mal arbeiten und aufnehmen möchtest?
Ganz spontan fällt mir Josh Groban ein - haha - obwohl ich andere sicher auch total spannend fände. Aber hier kommt meine Schwäche (ich finde den englischen Ausdruck „sweet spot“ etwas charmanter) für Pathos, Schmalz und Nostalgie ein bisschen zum Vorschein. Mir gefällt manches aus dem Crossover zur Klassik - und ich fand diesen „Jungen“ mit der großen Stimme, der so bodenständig und ein bisschen melancholisch wirkt, immer irgendwie „nett“ - und dachte manchmal bei seinen Duettpartnerinnen: Das kann ich auch. Und würd´ mal gern. Schmalzlocke und richtiges Können zugleich.

Geht das gedanklich auch mit einer „Female-Kollegin“?
Du fragst Sachen - klar, aber da hab ich mir tatsächlich weniger Gedanken darüber gemacht. Wie es wäre, wenn… Die Damen, bei denen ich das mal krass gefunden hätte, leben teilweise gar nicht mehr. (Aretha, Etta, Whitney, und wie sie alle heißen). Und irgendwie denke ich dann auch: Lass die einfach mal singen. Bloß nicht mitmischen, bitte nur zuhören, staunen, sich freuen. Ich würde denken, dass meine Stimme da nichts hinzufügen kann - bei einem Mann ist das was anderes, weil man ja eine ganz andere Farbe, einen anderen Aspekt reinbringt. - bei einer Frau würde ich eher denken, weil ich ja selber Frauenstimme bin: nicht dran rühren, einfach so stehen lassen.

Verstehe. Sag mal, heute, jetzt, wie sieht dein absoluter „Traummoment“ aus, den du gern erleben möchtest?
Das wäre ein Moment von Frieden und nachhaltigem Trost in ungeklärten Fragen - dass Ruhe und Klarsicht hinein kämen - In dem Traummoment gäbe es zufriedenstellende Antworten gepaart mit einem Glücksmoment, bestehend aus Natur, Liebe, Sonnenschein, Wein und Schokolade - ohne dabei zuzunehmen, versteht sich...

Ich vermute, so viele gibt’s davon nicht, hm? Wie erträgst du die Abweichungen, wie kommst du mit dem Unerklärlichen des Alltags zurecht?
Ich liege Gott damit in den Ohren. Ich suche Ansprache bei Familie und Freunden. Ich bemühe mich, mit Hilfe von ausgebildeten Leuten an mir und den Situationen zu arbeiten. Ich treffe nach bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen. Ich wähle Dankbarkeit. Und dazu gibt es mehr als genug Anlässe. Aber ich bin auch oft verzweifelt, müde und entmutigt. Die Warum-Frage und das verzweifelte Ringen nach Antworten können ganz schön schlauchen. Unklarheit finde ich enorm schwer zu ertragen. Ungerechtigkeit auch. Gott lässt beides zu - irgendwie.

Ja, das tut er wohl. Du machst viel Anbetungsmusik, welche Eigenschaft Gottes berührt dich eigentlich am tiefsten?
Ganz klar: Seine unerschütterliche Liebe. Davon kann ich gar nicht genug bekommen! Das ist echt kaum zu fassen. Sie entbehrt jeglichen Vergleichs.

Danke, dass du dir die Zeit für diese Gespräch genommen hast, Anja. Ich wünsche dir diese Liebe und die Momente des Friedens und Klarheit da, wo du sie brauchst.

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