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Weniger müssen können

Sieben Tipps gegen Stress und für ein ausgewogenes Leben

Von Heinz-Martin Adler

Ein Leben wie ein Action-Film, voller Spannung von der ersten bis zur letzten Szene – ist das erstrebenswert? Klar, wir wollen Abwechslung und Farbe im Leben, damit wir es als interessant erleben. Da stören uns Erkenntnisse wie diese nur: In der Thatcher-Ära wurden junge britische Börsenmakler in wenigen Monaten zu internationalen Stars. Sie bewegten Milliarden und verdienten Millionen. Sie begründeten weitgehend den Ruf des Finanzplatzes London. Aber sie zahlten einen hohen Preis für ihr ständiges Leben auf der Überholspur: Absturz und Burnout brachten viele auf den Boden der Realität zurück. Nach nur kurzer Zeit – wenigen Monaten, bestenfalls Jahren – brauchten sie Therapeuten, die sie schrittweise wieder ins normale Leben zurückführten.

Auch wenn die meisten von uns kein Leben im Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit führen, droht auch jedem von uns das kurze Leben einer Silvesterrakete: eine starke Zündung, ein beeindruckender Höhenflug, ein von vielen bestauntes Feuerwerk, gefolgt von einem plötzlichen Erlöschen und einem wenig beachteten Absturz. Darum können die hier formulierten sieben Tipps für ein ausgewogenes und erfolgreiches Leben durchaus nachhaltige Lebensretter sein. Weil das Thema eine so persönliche Seite hat, erlaube ich mir als Anrede ein respektvolles „Du“.

1. Halte dich nicht für wichtiger als du bist!

Erfolg ist schön und inspirierend. Die Bewunderung anderer für die eigenen Leistungen und Beiträge tut unglaublich gut. „Was sollten wir nur ohne dich tun? Wir brauchen dich hier!“ Das sind Selbstbestätigungen, die wir lieben. Erfolg ist buchstäblich „sexy“ und macht süchtig nach mehr. Aber hier lauert auch ein gefährlicher Irrtum: Ich halte mich für wichtiger als ich wirklich bin. Erfolgsverwöhnte Akteure werden oft zu „Applaus-Junkies“. Als Bühnenmenschen brauchen sie den Beifall der anderen zum Erhalt der eigenen Lebensqualität.

In der Wirtschaft und in Vereinen, im Beruf und in Gemeinden gibt es begabte Mitarbeiter und Führungskräfte, die sich für Alleskönner halten und von vielen auch so angesehen werden. Und es stimmt ja auch, zumindest teilweise: Sie sind wichtig für das Gelingen von Aufgaben und Projekten. Aber in vielen Fällen nehmen sie damit anderen die Chance auf Erfolg oder persönliches Wachstum. Es ist unglaublich befreiend für einen „Alleskönner“, ein wenig Abstand zu gewinnen und wieder das ganze Bild zu sehen. Daraus wird dann ein Appell: „Halte dich nicht für wichtiger als du bist!“

„Nein sagen zu können ist ein Kennzeichen starker Menschen, die nicht unter der Knute der Harmoniesucht stehen.“

2. Du bist wertvoll, auch wenn du gerade einmal nicht gut drauf bist!

Einer der starken inneren Antreiber unseres Handelns lautet: „Ich leiste etwas, also bin ich.“ Es scheint, dass besonders Männer hierfür anfällig sind. Vielleicht überhören sie deswegen oft die Signale des Körpers, die das Nahen einer Leistungsgrenze andeuten. Mediziner berichten, dass unsere Wirtschaft mit ihrer starken Wettbewerbsorientierung und dem Druck der Zeitverträge Menschen davon abhält, auf ihren Körper zu hören. Wir müssen es im Interesse einer nachhaltigen Gesundheit ganz neu lernen, den Bedürfnissen des Körpers nachzugeben.  Frauen scheinen das generell besser zu können. Vielleicht leben sie auch deshalb statistisch gesehen sieben Jahre länger als Männer.

Wir dürfen, ja, wir müssen also eine neue innere Einstellung einüben. Dein und mein Wert liegt nicht in einer permanent hohen Leistung. Leistung hat auch Zyklen von starken und schwachen Zeiten, wie jeder Sportler bestätigen kann. „Viel besser ohne Glück als ohne Liebe sein“, formuliert der deutsche Dichter C. F. Gellert. Die Liebe des Partners ist selbst in erfolglosen Zeiten eine beständige Inspiration. Und das Evangelium von Jesus Christus macht klar: Jesus liebt Menschen – ganz ohne Leistung – und bringt sie dadurch aus ihren Tiefs wieder heraus.  

3. Verweigere dich dem Erwartungsdruck der anderen!

Auch das kann ein starker Antreiber sein: „Es wird von mir erwartet, dass ich ...“ Ja, es stimmt: Manchmal erfordert das Gemeinwohl, dass wir auf die Erwartungen anderer eingehen, auch wenn wir das eigentlich nicht wollen. Aber wenn daraus der Zwang wird, immer den Erwartungen anderer entsprechen zu wollen, verlieren wir die Freiheit der Entscheidung. Dann wird das Leben nur noch fremdbestimmt.

„Nein“ sagen zu können ist ein Kennzeichen starker Menschen, die nicht unter der Knute der Harmoniesucht stehen. „Weniger müssen müssen“ ist der Wiedergewinn von Freiheit. Die Not an sich ist kein Kriterium dafür, dass ich aktiv werde, habe ich von dem englischen Evangelisten Major W. Ian Thomas gelernt. Ich muss immer neu entscheiden: Nehme ich die Herausforderung an und wachse mit ihr – oder kann ich jemanden finden, der dieser Herausforderung besser gerecht wird als ich? Oft ist das eine Frage der eigenen Berufung. Der kürzlich verstorbene Nelson Mandela ist hier ein leuchtendes Beispiel. Er hat zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Präsidentenamt abgegeben und gesagt: „Jetzt sind andere dran! Jetzt seid ihr dran!“ Ein Nein an der richtigen Stelle ist immer auch ein Ja für die Entwicklung neuer Chancen und Talente, auch wenn Südafrika jetzt durch schwierige Zeiten geht.

4. Mache andere erfolgreich!

Wir können es auch so formulieren: Werde ein proaktiver Unterstützer anderer! Heißt das, dass wir auf eigene Erfolgserlebnisse verzichten müssen? Werden wir zur viel zitierten „grauen Maus“, die niemand bemerkt, wenn wir so handeln? Nein, keinesfalls! Wir sichern nur den Erfolg der Zukunft, wenn wir die erfolgreich machen, die (meistens) noch besser sind als wir – auch wenn sie es manchmal selber noch nicht wissen.

Ego-Shooter, die nach dem Motto „Ich will mir einen großen Namen machen!“ leben, gibt es schon genug. Ich liebe die Karte mit dem schönen Text: „Sei einfach du selbst. Alle anderen gibt es schon!“ Das ist eine tolle Ermutigung. Wenn wir von der Ich-Orientierung zur Du-Orientierung finden, ist das viel befriedigender als in den Kick des eigenen Gelingens verliebt zu sein. Nicht umsonst heißt es etwa: „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau.“ Das gilt natürlich auch umgekehrt oder für gute Coaching-Beziehungen, seien sie nun freundschaftlich oder professionell motiviert. Auch die Art und Weise, wie Jesus seine Schüler erfolgreich machte, ist ein gutes Beispiel, an dem wir uns orientieren können. Der Apostel Paulus formuliert als Echo darauf: „Denkt nicht nur an euch selbst, sondern auch an die Belange der anderen!“ (Philipper 2,4)

5. Genieße deine Grenzen!

Wie soll das denn gehen? Das ist eine eigene Art, glücklich zu sein. „Selbst zum Genuss des Glücks bedarf man Mut“, meinte einst der Schweizer Schriftsteller Carl Spitteler. Der Mut zu den eigenen Grenzen gehört dazu. Aber sollen wir nicht ständig üben, die eigenen Grenzen zu überschreiten, um mehr zu erreichen? In gewisser Weise ja. Und doch ist das Ja zu den eigenen Grenzen ein Zeichen dafür, dass man eine realistische Selbstsicht hat. Denn dass jede Stärke zur Schwäche wird, wenn man sie übertreibt, weiß man aus der Persönlichkeitsforschung. Wenn jemand entdeckt, wo seine Grenzen sind, bekommt er oder sie auch den Blick für die Ergänzung durch andere und wie diese mit ihren Stärken das eigene Leben bereichern können.

Die Grenzen genießen kann ich auch, wenn ich als Mensch entdecke, dass Gott mit seiner Kraft in meiner Schwäche wohnen und wirken will. Dann entdecke ich die Abhängigkeit von Gott als Glück. Dann wachse ich mit dieser „externen Energiequelle“ über mich hinaus, wenn Herausforderungen wie Krankheiten, Unglücke oder Fehlschläge mein Leben heimsuchen.  „Wer singen und lachen kann, der erschreckt sein Unglück“, sagte schon der Schriftsteller Christoph Lehmann vor mehr als 400 Jahren. Grenzen anzuerkennen ist nicht negativ. Es ist vielmehr das Bewusstsein der eigenen Begabungen und Stärken, die ich im Lauf des Lebens jeden Tag neu einsetzen kann. Nicht zuletzt bewahrt es mich vor dem neidvollen Blick auf die Gaben der anderen.

„Ein Leben ohne Stille ist ein Leben ohne Inhalt.“

6 . Nutze die Kraft der Stille!

Stille bedeutet nicht Stillstand, obwohl viele das meinen – und darum die Stille systematisch durch übertriebene Mediennutzung aus ihrem Leben verbannen. Es war eine kluge Beobachtung des Philosophen und Mathematikers Blaise Pascal, als er formulierte: „Es ist nichts schwerer für einen Menschen, als eine Stunde still in einem Raum zu sitzen und nichts zu tun.“ Warum ist das so? Menschen wollen immer etwas tun. Dabei unterschätzen sie den Wert der Stille. Sie bedeutet Entspannung, zur Ruhe zu kommen, Abstand und Überblick zu gewinnen, Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis zu erleben. „Seid still und erkennt, dass ich Gott bin“, lese ich in Psalm 46. Nicht zuletzt ist die Stille die Heimat der Kreativität, aus der viele Problemlösungen für einen hektischen und chaotischen Alltag entspringen.

Die Stille im Sturm zu erleben ist das Geheimnis der Kraft. „Vor dir in Demut. Mit dir in Treue. In dir in Stille“, schrieb der schwedische Politiker und zweite UNO-Generalsekretär Dag Hammerskjöld in sein Tagebuch. „In der Ruhe liegt die Kraft“, weiß der Volksmund und hat Recht. Muhammad Anwar as-Sadat wurde nach vielen Jahren Haft aus der Gefängniszelle heraus zum Präsidenten Ägyptens berufen. Er wollte das Amt zuerst gar nicht annehmen, so sehr hatte er die Zeiten der Meditation in der Einsamkeit seiner Zelle lieb gewonnen. Ein Leben ohne Stille ist ein Leben ohne Inhalt. In der Stille wandelt sich unser problemorientierter Tunnelblick zum Weitwinkelblick auf die Möglichkeiten unseres Lebens.

7 . Fokussiere dich auf das Wesentliche!

Als „Weg zum Wesentlichen“ bezeichnete Bestseller-Autor Stephen R. Covey die vierte Dimension des effektiven Zeitmanagements. In einer Zeit mit beinahe unzähligen Optionen geht es nicht mehr darum, To-do-Listen von A bis Z abzuarbeiten, sondern darum, die in einer bestimmten Situation wesentliche Aufgabe zuerst zu erledigen. Dieser Gedanke gilt im „normalen Stress“ des beruflichen Alltags ebenso wie bei der Gestaltung von Beziehungen in allen Lebensbereichen.
Nicht nur Jugendliche haben Schwierigkeiten bei der Berufswahl angesichts zahlreicher Optionen. Auch Erwachsene werden entscheidungsschwach durch zu viele Möglichkeiten. Welchen der 35 Super-HD- (und darüber hinaus) tauglichen Flachbildschirme soll ich kaufen? Welche der 50 Käsesorten ist die beste im Supermarkt? Welche der 20 Erdbeermarmeladen schmeckt am besten? Durch das Gewirr des Überangebots leitet uns nur eine klare Vorstellung und Überzeugung dessen, was für uns persönlich in einer gegebenen Situation wesentlich ist.

Jesus argumentiert im Evangelium: „Was nützt es, die ganze Welt zu gewinnen und dabei seine Seele zu verlieren? Gibt es etwas Kostbareres als die Seele?“ (Matthäus 16,26). Damit weitet er unseren Blick über das Hier und Heute hinaus auf eine Ewigkeit, die auf jeden von uns wartet. Es ist gut, im Bereich des Wesentlichen über den Tag hinaus zu denken.

Natürlich gibt es noch mehr als sieben Tipps, die zu bedenken wären: Sieben Tipps, über die wir uns eigentlich genauer austauschen müssten. Aber vielleicht sind sie trotzdem ein Anfang auf dem Weg zur Lebenskunst, auf dem Weg zu einem ausgewogenen Leben.